Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
mussten doch treffen mit ihren Felsbrocken. Du stellst sie dir vor, dort droben im Schnee, Wolken liegen über der Schlucht, es stürmt und dicke Flocken peitschen ihnen ins Gesicht. Sie sehen die Träger, sie passen genau auf - jetzt -
Jemand muss ihnen ein Zeichen gegeben haben. Oder besser, es waren auf den Ballen Zeichen angebracht, die sie von oben gesehen haben - ganz unauffällig. Das geht dir durch den Kopf. Und wer hat das gemacht?
Der Heinz, der immer Silbä sagt, und der jetzt weg ist?
Sie schauen dich gespannt an.
Auf einmal weißt du, was du machen musst - du weißt noch nicht einmal so richtig warum, aber du weißt, dass du es so machen musst, genau so! Und dein Herz schlägt so laut wie eine ganze Schmiede, dass du meinst, sie hören es.
Und du sagst mitten in ihre Gesichter hinein: Ich zeige euch den Rest. Das sagst du so einfach und deshalb glauben sie es.
Jeder glaubt, was er gerne hört.
Dann sagst du, dass du es ihnen aber nicht beschreiben kannst, weil du zum ersten Mal hier oben bist und dich in der Herberge nicht auskennst. Und wieder weißt du genau, dass du es so machen musst - und wieder hast du keine Ahnung, warum.
Sie reden wieder rätisch.
Die Herberge ist gut bewacht, sagt jetzt ein Sechster auf Deutsch, der gerade dazukommt. Sie haben bemerkt, dass wir ihn geholt haben, er zeigt mit dem Kinn auf dich.
Du hast Angst wie vor dem Teufel, dass es auch klappt, was du machen willst. Denn wenn du mit denen zusammen erwischt wirst - Gnade Gott!
Sie reden nur noch Deutsch, damit du alles verstehst. Du bist ja jetzt auf ihrer Seite -
Du kannst wieder auf eigenen Beinen stehen, sie müssen dich nicht mehr tragen. Zu fünft schleicht ihr zurück. Vorher lässt du dir noch die Beute zeigen. Sie ist einfach im Raum daneben - drei Ballen. Sie hätten die Stelle am Steig gut ausgewählt, sagen sie und lachen; die Ballen sind auf einen Absatz gefallen, ein paar Klafter tiefer, wo man sie vom Steig aus nicht sehen kann. Sie waren leicht zu holen. Die Träger sind tot, zermalmt vom Rhein.
Als sie mit dir zur Herberge schleichen, merkst du dir gut den Weg. Und du machst mit ihnen aus, wie viel du bekommst. Sie sagen dir, warum sie es machen: Sie sind sehr arm hier oben, wo nichts Rechtes wächst. Sie helfen Kaufleuten aus verschiedenen Städten gegeneinander und bekommen dafür Geld. Es gibt noch andere Gruppen in den Dörfern hier oben, die dasselbe machen wie sie.
Was heißt das? Sie bekommen Geld! Von wem?
Kaufleute aus Augsburg, aus Lindau und Ravensburg, aus Konstanz - sie wollen nicht, dass dieser Humpis das ganze Geschäft mit Italien alleine macht. Wir richten Schaden an und sie bezahlen sehr gut.
Mord!
Und die Beute?, fragst du.
Könnten wir ja von hier oben aus doch nicht so leicht verkaufen. Sie holen sie ab. Die Fuhrknechte, die uns helfen - die suchen sie sich aus und bezahlen sie auch gut. Das weißt du ja besser als wir. Und wenn es sehr viel Beute ist, bleibt natürlich doch etwas davon an unseren Fingern hängen. Deshalb brauchen wir den vierten Ballen. Für wen du arbeitest, ist uns gleichgültig, sagen sie. Hauptsache, sie bekommen den Ballen.
Es ist dann alles ganz einfach: Die drei steigen mit dir in die Herberge ein. Und sind dann sehr überrascht - es ist noch immer Nacht, aber der Mond scheint jetzt ganz hell -, als du in die große Stille hinein plötzlich mitten im Hof losrennst und aus vollem Hals um Hilfe schreist. Hilfe, Hilfe!, brüllst du, Mordio! und Feurio!, und was dir gerade einfällt.
Kein Mensch glaubt, was jetzt für ein Aufruhr losbricht - Hunde bellen, Pferde wiehern, Reiter, Knechte, Mägde, Kinder schreien, kreischen, rufen, jammern, Spieße poltern, Armbrustbolzen schwirren, Äxte werden geschwungen, Schwerter und Dolche gezückt, Hühner, Gänse, Enten flattern gackernd umher, Wolken von Federn wirbeln auf, Schweine, Ziegen, Schafe und sogar Kühe rennen durcheinander. Rudelweise laufen Menschen auf den Hof.
Du stehst nur da und schaust, dann kommt atemlos der Schreiber gerannt. Und du sagst ihm, was in der kurzen Zeit zu sagen ist - das meiste sieht er selbst.
Die Räuber wehren sich kaum. Sie werden gebunden und abgeführt. Freilich ist dir nicht ganz wohl bei ihren Blicken. Ihr habt aber nicht die ganze Bande. Deshalb müsst ihr los, was das Zeug hält, und die Beute rasch aus dem Versteck holen - du hast dir ja den Weg gemerkt. Bis ihr in das Versteck kommt, ist der Rest der Bande bei dem Lärm in der Herberge natürlich abgehauen.
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