Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
zwei Gerippe von Kühen und ein halb verhungertes Kalb, das sieht aus, als ob es erst vor drei Tagen auf die Welt gekommen ist.
Du wunderst dich und sagst, dass die Kühe aber mager sind.
Wir mussten sie füttern und melken, sagen die Nachbarn.
Na, denkst du, vom Füttern und Melken sind die aber nicht so dünn geworden! Dir fällt aber zum Glück ein, dass es nicht gut ist, wenn du das jetzt laut sagst.
Es fehlen noch ein Ochse und eine Ziege, von den Hühnern und Gänsen nicht zu reden.
Aber du nimmst dein halb verhungertes Vieh und bringst es in deinen Stall. Vielleicht geben die Kühe ja am Abend noch ein paar Tropfen Milch.
In der Scheune hast du einen Rest Heu gesehen.
Irgendwann fängt dein Hunger wieder an, er brüllt jetzt wie ein Stier, und du fragst die Nachbarin nach einem Stück Brot. Die Frau sieht verlegen aus und gibt dir immerhin einen halben Fladen Brot.
Aber da sagt sie: Wenn du die Hühner suchst und die Gänse - wir haben schließlich deinen Onkel durchfüttern müssen.
Hat sie ihn mit seinen eigenen Hühnern durchgefüttert?
Da sagt sie weiter: Was soll man machen? Wir können auch nicht alles verschenken. Da haben wir die Hühner geschlachtet und gegessen, und die Gänse auch, und mager waren die -
Nicht Onkel Bernger hat sie bekommen.
Am Abend regnet es immer weiter, aber du hast deinen Wagen abgeladen, das Zeug in die Scheune verfrachtet, hast alte Säcke gefunden und vom Nachbarn ein paar Arme Stroh bekommen - du versprichst, dass er es wiederkriegt, und bist auf das Dach gestiegen und hast die größten Löcher verstopft. Dass du nichts Falsches sagst: Du hast natürlich nur die kleineren Löcher verstopft. Der Regen rinnt immer noch an vielen Stellen herein.
Aus dem schlappen Euter der beiden Kühe quetschst du am Abend tatsächlich ein paar Tropfen Milch. Der Nachbar bringt dir noch ein Laiblein Brot.
In der Nacht liegst du auf feuchtem Stroh. Und es gibt nur einen Menschen im ganzen Dorf, dem es im Bett ins Gesicht tropft - na, wem wohl?
Am Tag darauf regnet es immer noch. Aber Melchior, ein Sohn des Nachbarn, ist mit dir auf das Dach geklettert, und jetzt ist es einigermaßen dicht. Dein Wams fängt schon an zu schimmeln - zumindest riecht es so.
Die Bäuerin bringt dir sogar einen Napf warme Suppe, und der Nachbar sagt, dass im Dorf die Hilfe untereinander ganz gut ist. Aber dabei schaut er dich so seltsam an, und du wirst daraus nicht schlau. Eigentlich ganz nett, die Nachbarin. Aber was schaut auch sie dich so seltsam an? Halb mitleidig und halb misstrauisch.
Du lernst den Schultheißen kennen. Er drückt dir sogar die Hand.
Du fragst den Schultheißen vorsichtig, warum dein Onkel Bernger keine Sense gehabt hat, denn gefunden hast du keine unter seinem Gelumpe.
Der hat keine gehabt, ist die seltsame Antwort.
Du erinnerst dich, als in deinem Dorf die ersten Bauern mit einer Sense gemäht haben. Du warst noch ein kleiner Junge, und Sensen hat damals noch kein Mensch gekannt. Es hat ausgesehen, wie wenn man eine missratene Sichel an einen langen Stiel bindet und damit sicheln will. Ihr habt euch halb totgelacht. Aber die Bauern haben bald gemerkt, dass man damit viel schneller mäht, und das Kreuz tut nicht mehr so weh. Heute benutzt jeder die Sense, nur das Getreide kannst du damit nicht mähen, weil zu viele Körner auf den Boden fallen.
Aber Heumachen mit einer Sichel - das gibt es doch gar nicht mehr!
Im ganzen Haus findest du auch kein einziges Kummet. Er hat aber sicher zwei gehabt. Mit dem Kummet spannt man die Zugtiere vor den Wagen. Das hat man früher mit einem Joch gemacht, und du erinnerst dich noch gut, wie das den armen Viechern das Genick abgedrückt hat und sie schier erstickt sind, und du kannst mit einem Kummet den Tieren viel mehr auf den Wagen laden. Außerdem kannst du mit einem Kummet Pferde vor den Wagen spannen - denn im Joch gehen nur die Stiere, das befestigst du an den Hörnern; und hast du schon einmal ein Pferd mit Hörnern gesehen?
Aber nirgendwo findest du ein Kummet, dafür ein altertümliches Joch. Das ist ganz verkrustet von Dreck, von Fliegen verschissen und von Holzwürmern zernagt.
Der Schultheiß sagt, dass dein Onkel immer mit diesem Joch gefahren ist.
Du hältst das Maul, weil: Ein Schultheiß ist ein Schultheiß! Und wenn es dir nicht passt, geht der zum Herrn Ritter - und schwups, bist du wieder Knecht bei deinem Bruder und deiner gelbgesichtigen Schwägerin.
Am nächsten Tag geht es dir viel besser, weil der
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