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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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grünen Ähre - Körner werden? Der Wind nimmt den Staub von einer Blüte und trägt ihn zur nächsten. So. Und da kann Wind wehen ohne Ende, wenn kein Blütenstaub da ist, wachsen auch keine Körner. Deshalb brauchst du möglichst viele Blüten in der Nähe von deinem Acker, und deshalb müssen alle Äcker eines Dorfes, die im gleichen Herbst angesät werden oder im gleichen Frühjahr oder die gerade brach sind, beieinander liegen.
    Und ein solches Gebiet heißt Zelge, verstanden?
    Richtig: Drei Zelgen gehören zu jedem Dorf! Die Winter-, die Sommer- und die Brachzelge. Und die wechseln jedes Jahr.
    Tatsächlich, du hast es verstanden!
    Dann: Jeder Bauer braucht Äcker in jeder Zelge. Sonst kommt unweigerlich das Jahr, in dem er mit seiner ganzen Familie verhungert. Denn wenn er alle seine Äcker in einer Zelge hat, dann liegen die alle drei Jahre brach: keine Ernte! Hat er nur in einer Zelge keine Äcker, verhungert er trotzdem - denn von Hafer und Gerste allein können nur seine Pferde und Schweine leben.
    So! Auch das begriffen! Dann geht’s jetzt weiter.
    Als sie dir deine Äcker gezeigt haben, ist dir etwas aufgefallen - aber was?
    Jetzt merkst du es, und der Schreck fährt dir bis in den kleinen Zeh: Du hast keinen einzigen Acker in der diesjährigen Winterzelge. Keinen! Keiner liegt mehr brach, wie er müsste, weil der Onkel ihn ja nicht mehr pflügen konnte. Alle sind gepflügt, manche schon eingesät. Und du siehst dich gründlich um und erinnerst dich, welche Äcker sie dir gezeigt haben - keiner gehört dir!
    Atemlos läufst du alles noch einmal ab: Die Äcker an dem kleinen Bach entlang, den Hügel hinauf, gehören dir, ziemlich heller Boden, nicht sehr fruchtbar, und viel ist es nicht, weiß Gott nicht - die Äcker in der Sommerzelge. Aber verhungern wirst du nicht! Hinüber über den Bach: Ab dem großen Stein mit dem vielen Moos, den Weg hinauf und hinunter bis zum nächsten Weg: Deine Äcker in der künftigen Brachzelge. Auch das ist nicht viel - aber deutlich mehr als drüben in der Sommerzelge. Das heißt übernächstes Jahr, wenn du hier in der Winterzelge erntest, wird es dir ganz gut gehen. In dem Jahr, wenn dieser Teil brachliegt, geht es knapp zu.
    Doch zum Leben reicht es nur, wenn du auch in der jetzigen Winterzelge Äcker hast!
    Du gehst also wieder hinunter zur Winterzelge - die Äcker links und rechts an einem Weg hinauf zum Wald, alle sauber gewölbt, tief umgebrochen, glänzende schwarze Schollen - der beste Boden ringsum. Aber wo sind deine Äcker? Sie haben dir keinen gezeigt - keinen einzigen!
    Und keine Menschenseele, die du fragen kannst. Die lachen sich tot!
    Die Sommerzelge allein macht dich nicht satt; die musst du außerdem verfüttern an die Schweine und Kälber und an die Pferde, von denen du träumst. Und das neu gewonnene Saatgut musst du einlagern - jedes sechste Korn der Ernte - und darfst es nicht anrühren. Und jedes zweite Korn, das du aus den Ähren drischst, musst du abgeben: der Kirche und dem Herrn Ritter. Von den Äckern in zwei Zelgen leben? Da musst du haushalten - da musst du geiziger sein als deine Schwägerin, da darfst du dir kein extra Körnlein gönnen.
    Und wenn du Frau und Kinder willst - und du denkst voll Schmerzen an das vierblättrige Kleeblatt, undenkbar!
    Und der Onkel hatte Frau und Kinder; sind ihm alle gestorben. Aber verhungert sind die nicht, das weißt du! Todsicher hatte der Äcker in der Winterzelge, gehst du jede Wette ein, so gewiss wie eine Sau kein Kalb wirft! Ein Bauer mit Äckern in nur zwei Zelgen - gibt es nicht!
    Zum Teufel! Die können dir doch nicht einfach Äcker stehlen! Als du zurückgehst in das Dorf: Grinsen die nicht alle schadenfroh? Ein Bauer ohne Acker in der Winterzelge!
    Du zählst zusammen: Sie haben dir gestohlen - einen Ochsen, eine Ziege, Schweine, Hühner, Enten, vielleicht sogar ein paar Gänse. Sie haben dir einen Pflug gestohlen und wenigstens ein Kummet, wahrscheinlich aber zwei. Sicher haben sie dir die Ernte vom Sommer gestohlen und das ganze Saatgut für die Frühjahrssaat. Und - sie haben dir alle Äcker in der Winterzelge gestohlen! Wer sie jetzt wohl hat? Der Nachbar, der die Hühner geschlachtet hat, weil er Onkel Bernger füttern musste? Wer hat den Ochsen? Haben sie die Äcker verteilt? Alle wissen es! Nur du nicht! Da sitzen sie in ihren Häusern unter den dichten Strohdächern am warmen Herd und lachen sich tot über dich.
    Warum stiehlt man etwas? Ist doch klar! Damit man es hat. Pfui

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