Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
brauchte sie auch keine Krücke und starb nicht daran. Warum soll dann ich daran sterben?«
Ihre Augen glänzten.
»Pst, kein Wort zu irgendjemandem«, fuhr sie fort und streichelte seine Hand, »ich gehe mit dir den engen Steig hinauf zum Kiefernwald: Ich will seine Frau werden! Dafür schlage ich alles andere in den Wind, auch Vater und Mutter!«
Niemand wusste davon. Vater und Mutter waren ahnungslos. Helmbrecht beschloss in aller Eile: »Ich verheirate dich mit diesem Mann, und wenn der Vater drauf geht! Du wirst Lämmerschlings Frau, und du wirst reich. Ein Bote wird dich holen. Bis dahin richten wir die Hochzeitsfeier aus, mit allem, was dazugehört - viele Kleider und Röcke werden an Gäste verschenkt werden. Bereite dich vor, Lämmerschling wird dasselbe tun. Ich geh voraus. Vater kann mich so gut leiden wie ich ihn. Gottes Gruß an die Mutter.«
Und hin fuhr er seinen alten Strich!
Er überbrachte Lämmerschling Gotelindes Zustimmung. Der küsste ihm die Hand und vor lauter Freude fast den Saum an seinem Kleid. Er verneigte sich vor jedem Lüftchen, das von Gotelinde herwehte.
Jetzt ging es an die Festvorbereitungen: Leid kam über Witwen und Waisen - sie wurden ausgeraubt. Von weit her wurde auf Pferden und Wagen Essen und Trinken zusammengeholt und in das Haus von Lämmerschlings Vater gebracht.
Dann holte, wie verabredet, ein Bote Gotelinde herbei.
»Seid willkommen, edle Frau Gotelinde«, lautete Lämmerschlings Gruß.
Sie antwortete: »Habt Dank, Herr Lämmerschling!«
Verliebte Blicke gingen hin und her. Sie redeten in schönen, wohlgesetzten Worten - Lämmerschling wie ein Höfling, der Pfeil auf Pfeil verschießt, Gotelinde wie eine Dame, oder was sie dafür hielt.
Ein grauhaariger Alter, der sich auskannte, vollzog die Trauung. Er stellte die beiden in einen Kreis. Zu Lämmerschling sagte er: Wollt ihr Gotelinde zur Ehe nehmen, dann sagt Ja.«
»Gerne«, sagte der junge Mann.
Er fragte ihn zum zweiten Mal.
»Gerne«, antwortete der.
»So nehmt ihr sie?«, fragte er zum dritten Mal.
»Bei meiner Seligkeit, ich nehme sie aus freiem Willen.«
Zu Gotelinde sagte er: »Wollt ihr Lämmerschling aus freiem Willen zum Mann nehmen?«
»Ja, Herr, wenn Gott ihn mir schenkt.«
»Nehmt Ihr ihn aus freiem Willen?«
»Aus freiem Willen, Herr, gebt ihn mir.«
Zum dritten Mal: »Wollt Ihr ihn?«
»Gerne, Herr, nun gebt ihn mir doch endlich!«
Da gab er Gotelinde dem Lämmerschling zur Ehefrau und Lämmerschling der Gotelinde zum Ehemann. Dann begannen alle zu singen, und ihr neugebackener Ehemann trat ihr auf den Fuß.
Schlingdasland versorgte die Pferde der Gäste als Marschall, Schluckdenwidder war Mundschenk, Höllensack wies den Gästen die Plätze an, er war der Truchsess, Rüttelschrein, der schlimmste Halunke, war Kämmerer, Kuhfraß war Küchenmeister, Matschkelch verteilte das Brot. Die Hochzeit war nicht von armen Leuten: Wolfsgaumen und Wolfsrüssel leerten Schüsseln und Becher. Das Essen schwand, als würde es von einem Sturmwind davongeblasen. Nichts blieb übrig - kein Hund hätte noch einen Knochen abnagen können.
Wie sagt der Weise? Wem das Ende nahe ist, der fastet nicht, der säuft und frisst!
Es war die letzte Mahlzeit, bei der sie fröhlich zusammensaßen.
Mitten im Fest sagte Gotelinde, die Braut: »Ach Lämmerschling, mir läuft es kalt über den Rücken. Mir ist, als seien fremde Leute auf dem Weg hierher und nicht zum Guten! Ach lieber Vater und liebe Mutter, dass ich so weit von Euch getrennt sein muss! Was habe ich angerichtet - ach, Leid und Schande werden die Säcke Lämmerschlings über mich bringen!«
Als sie schwer vom Essen noch eine Weile saßen und gerade den Spielleuten ihren Lohn gegeben hatten, da brach plötzlich der Richter über sie herein mit vier Schergen.
Mit seiner richterlichen Gewalt überwältigte er die zehn leicht. Wer nicht in den Ofen kroch, der schlüpfte unter die Bank, einer rannte schneller als der andere, und wer vier Feinde nicht gefürchtet hatte, den zog jetzt ein einziger Scherge an den Haaren aus dem Versteck hervor.
Es ist wirklich wahr: Ein Räuber, der es ohne weiteres mit drei Gegnern an einem Tag aufnimmt, der kann sich gegen einen einzigen Schergen nicht behaupten.
Bald waren alle zehn mit starken Stricken gefesselt. Gotelinde verlor ihr Brautgewand. Man fand sie in erbärmlichem Zustand an einem Zaun, ihre Brüste hielt sie mit den Händen verdeckt. Sie war tödlich erschrocken -
Was sonst noch geschehen
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