Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Bauens, der Musik und der Dichtkunst. - Im Übrigen aber lebte man als Mönch oder Nonne in Armut, Gehorsam und Keuschheit geradezu hermetisch abgeriegelt von den Dingen der Welt, wenngleich es (natürlich) auch Möglichkeiten gab, die Isolation zu überwinden, etwa mit Briefen.
Im Herbst 1953 wurde im Kloster Wienhausen bei Celle, als man das Chorgestühl renovierte, unter dem alten Holzgestühl all das gefunden, was den Nonnen im Laufe der Jahrhunderte hinuntergefallen und zwischen den Bretterritzen verschwunden war: Heiligenbildchen, Scheren, Nadeln, Brillen, sogar Briefchen, die sich die frommen Frauen gegenseitig geschrieben haben. Und unter diesen Briefen gab es einige, die nicht aus dem Stift stammten.
Solche Briefe - überbracht von verlässlichen Personen - waren die einzige Möglichkeit des Kontakts zweier Liebender über Klostermauern hinweg. - So ist es denkbar, dass ein junger Mann, vielleicht ein Knappe auf einer Burg, Briefe schrieb an eine junge Novizin in ihrer Abtei. Und ebenso ist es denkbar, dass sie ihm antwortete -
Reinald an Katharina, ich bin so ungeduldig. Überall sehe ich Dein Gesicht, in den Bäumen, in den Wolken, sogar in einem der alten Burgtürme, von dem wir den Efeu herunterreißen. Du und ich, wir sind jetzt schon sechs Wochen voneinander getrennt. Und es ist ein Glück, dass wir den alten Martin als Boten haben. Er geht oft von Falkenberg nach Gotteszell.
Es ist wichtig, dass wir bereden, wie wir wieder zusammenkommen können, so wie wir in Augsburg zusammen waren - Du als die Tochter eines Stadtritters, ich als der Knappe auf einer Burg, der einmal das väterliche Burglehen antreten wird; zusammen für immer als Paar. Wie hole ich dich aus Deinem Kloster? Auf die Burg meines Ritters darf ich Dich als Knappe natürlich nicht bringen. Aber wir werden Dir schon einen Platz in der Welt sichern. Ich denke Tag und Nacht nur an Dich und uns!
In alle Ewigkeit,
Dein Reinald
Katharina an Reinald, es ist ein großer Segen, dass Dein Ritter und meine Frau Äbtissin Tante und Neffe sind, sodass sie oft einen Boten hin und her schicken. Ich bin nun schon fast sieben Wochen hier in Gotteszell und es ist schrecklich: Ich denke nur an Dich. Ich weiß, das ist Sünde, denn ich denke auch beim Beten an Dich. Aber ich kann nicht anders. Wie soll ich nur leben, ohne dass Du bei mir bist, Du Guter? Ich streiche Dir in Gedanken die Haare aus der Stirne, sie fallen Dir ja immer hinein, und wer soll sie Dir denn jetzt herausstreichen? Ich schreibe für Dich auf Streifen von dem Pergament, das ich aus der Schreibstube meines Vaters mitgebracht habe, von zu Hause. Es ist gestohlen! Und Stehlen ist eine schwere Sünde für ein Mädchen, das Nonne werden soll! Ich schreibe winzig klein, um Platz zu sparen - hoffentlich kannst Du es lesen. Ich denke nur an Dich, Du Lieber, und wenn ich bete, dann bete ich nur für Dich.
Alle Heiligen seien Dir Schutz und Schirm!
Katharina
Reinald an Katharina, hoffentlich merkt niemand, dass wir uns Briefe schreiben. Du weißt, wie schrecklich wir bestraft würden: Du in deinem Kloster Gotteszell - eine angehende Nonne; ich auf der Burg Falkenberg - ein Knappe. Ich habe kaum mehr etwas von dem Pergament, das Du mir mitgegeben hast, und schreibe Dir auf Birkenrinde. Das geht ganz gut. Ich habe mir auch Tinte besorgt, einen ganzen Vorrat, war nicht einfach, bestimmt! Eigentlich gilt: Ein Ritter schreibt nicht - er kämpft. Ist doch klar! Aber mit Dir ist es etwas anderes. Schade, dass der alte Martin nicht jeden Tag oder jede Stunde von Falkenberg nach Gotteszell geht, sondern nur alle paar Wochen.
Ich denke Tag und Nacht an eine Gelegenheit - eine, Dich zu sehen, aber vor allem eine, Dich aus dem Kloster zu holen, damit wir zusammenleben können, ich weiß noch nicht ganz wie. Aber ich werde einen Weg finden, keine Sorge.
In Liebe,
Dein Reinald
Katharina an Reinald, ich erzähle Dir von meinem Leben im Kloster. Damit Du weißt, was ich den Tag über tue. Ich glaube, wenn wir das vom anderen wissen, sind wir einander viel näher. Schreib Du mir also auch von Falkenberg, von Dir und Deinem Ritter, Herrn Andreas von Gülten.
Bei uns ist jeder Tag genau festgelegt, vor allem mit Gebeten: Acht Mal am Tag soll ein Christ beten: Mitten in der Nacht ist die Matutin, das Mitternachtsgebet, da stelle ich mir immer vor, wie Du daliegst, Du Guter, und Dein Mund ist halb geöffnet wie bei einem Kind, und die Haare fallen Dir ins Gesicht. Ich denke während der
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