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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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ist mit ihr auf ihrer Hochzeit? Wer weiß es? Wer hat es gesehen? Höchstens Gott - und der kann Wunder wirken, diese Geschichte ist der Beweis.
    Gegen seine Rache ist kein Kraut gewachsen. Ein Räuber mag ein ganzes Heer alleine besiegen, gegen den Richter ist er machtlos - seine Augen trüben sich, wenn er ihn kommen sieht, sein Gesicht wird gelb vor Schreck. Er mag so stark und flink sein, wie er will: Ein lahmer Scherge fängt ihn mit einer Hand.
     
    Schaut her, wie die Diebe, schwer beladen mit Stücken aus ihrer Beute, vor das Gericht gekrochen kamen, wo sie gehenkt wurden. Zu Gotelindes Jammer band man ihrem Lämmerschling zwei Rinderhäute auf den Nacken, die wogen zusammen fast so viel wie zwei ausgewachsene Männer. Dabei musste er noch am wenigsten tragen, weil er der Bräutigam war! Die anderen schleppten viel mehr. Sein Schwager kroch dem Schergen unter drei rohen Häuten voraus, und das war nur gerecht: Der hieß Helmbrecht Schlingdasland! So trug jeder seine Last - die nahm sich der Richter als Lohn.
    Keine Verteidigung war zugelassen. Wer wollte solchen Schurken auch das Leben fristen? Das Sprichwort sagt: Wer sich vom Wolf bezahlen lässt, den frisst er schneller als die Pest! So dachte auch der Richter - und Recht hat er.
    Neun von ihnen hängte der Scherge auf, einem ließ er das Leben. Der Zehnte gehörte ihm - so war das Recht. Der hieß Helmbrecht Schlingdasland!
    Aber was für ein Leben war das!
    Seht, es kommt, wie es kommen muss! Gott duldet kein Unrecht. Der Scherge konnte mit Helmbrecht tun, was er wollte. Er stach ihm die Augen aus: Damit rächte er den Vater an dem Sohn. Das war noch nicht alles - auch die Mutter wurde gerächt: Man schlug ihm eine Hand ab und einen Fuß.
    Das geschah, weil er der Mutter und dem Vater den gehörigen Gruß verweigert hatte: »Was snacket ihr geburekin?«, hatte er zum Vater gesagt und zu der Mutter: Bauerntrampel.
    Der Tod wäre ihm tausendmal lieber gewesen, als diese grausige Verstümmelung.
    Gequält von Reue und Schmerzen, trennte sich der blinde Dieb Helmbrecht an einer Wegscheide von Gotelinde.
     
    Ein Stab und ein Kind brachten den blinden Krüppel heim zu seinem Vater - aber der nahm ihn nicht auf, sondern jagte ihn davon.
    Doch zuvor begrüßte er ihn: »Deu sal, Herr Blinder! So lernte ich es einst: Geht nur her, Herr blindekin. Ich weiß wohl, dass Ihr alles habt, was ein Herr vom Hofe braucht. Sogar die Welschen werden Euch schätzen. Dies zum Gruße, hört, so grüße ich junge Blinde! Doch wozu viele Worte? Bei Gott, blinder junger Herr, wenn Ihr nicht augenblicklich von meinem Hof verschwindet, verprügelt Euch mein Knecht so, wie noch nie ein Blinder Prügel bekommen hat! Verflucht sei jedes Stück Brot, das an Euch verschwendet wird. Fort, aus meiner Tür!«
    »Nein Herr, lasst mich doch bleiben!«, schrie der Blinde. »Ich will Euch sagen, wer ich bin - erkennt mich doch, um Gottes willen!«
    Der Vater antwortete: »Fasst Euch kurz - es ist spät! Sucht einen anderen, der Euch aufnimmt, von mir bekommt ihr nichts.«
    Mit Schmerz und Scham bekannte er dem Vater seinen Namen: »Herr, ich bin es, Euer Kind.«
    »Und ist der Knabe nun blind geworden, der sich Schlingdasland nannte?«, spottete der Alte. »Der hatte keine Angst vor einem Schergen noch vor allen Richtern der Welt! Herrje, was wart Ihr für ein Eisenfresser, als Ihr damals auf dem Hengst gesessen seid, für den ich meine Rinder hergegeben habe! Und wenn Ihr nun als Blinder kriecht, kümmert mich das nicht - es reut mich nur mein Lodenstoff und mein Getreide. Und wärt Ihr am Verhungern - es gibt nichts! Verschwindet, lasst Euch hier nie wieder blicken!«
    Dennoch antwortete der Blinde: »Wenn schon nicht mehr als Euer Sohn, so lasst mich doch, um Gottes willen, wenigstens als Bettler unter Euren Tisch kriechen. Die Bauern hassen mich, ich komme elend um, wenn Ihr mich verstoßt.«
    Der Alte lachte voller Hohn, obwohl es ihm schier das Herz zerriss - es war immerhin sein Fleisch und Blut, das da als Blinder vor ihm stand! Aber das zeigte er nicht: »Ihr seid so rücksichtslos durch die Welt geritten! Euer Hengst ging nie im Schritt. Ihr habt so ungeheuer gewütet! So viele Leute haben durch Euch alles verloren. Sagt an, sind meine drei Träume nicht in Erfüllung gegangen? Und ich verspreche Euch: Auch der letzte trifft noch ein; es geht Euch noch nicht schlecht genug. Bevor es aber ans Letzte geht, macht, dass ihr fortkommt - Knecht schließ ab, leg den Riegel vor. Heute Nacht

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