Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
hören.
Die Fährleute legen sich gewaltig in die Ruder. Der Kahn kämpft schwer gegen die Wellen und die Strömung. Die Reuß ist so unbändig, dass Anselm meint, sie bis hier herauf tosen zu hören. Haben die Fährleute wegen des Hochwassers weniger Leute mitgenommen als sonst? Das Boot wird ein ganzes Stück flussab getrieben, kommt aber wohlbehalten drüben an.
Mit diesem Schifflein wird die Überfahrt endlos lange dauern, bis tief in die Nacht - Anselm ist sicher bei den Letzten.
Der König und die drei Begleiter steigen aus, die Pferde am Zügel, das Fährschiff wendet, die Fährleute rudern zurück. Alles ist in der klaren, kalten Luft deutlich zu sehen.
Da - ein nadelfeiner Stich trifft das Auge! Drüben hat einer der Übergesetzten sein Schwert gezogen! Der Junge mit der Ledermütze. Auch die beiden Männer neben ihm halten ihr Schwert in der Hand.
Himmel hilf! Sie hauen und stechen auf den König ein!
Niemand kann ihm helfen, er fällt zu Boden, die drei Mörder springen auf ihre Pferde und jagen davon.
Es geschieht schneller, als man es sagen kann. Drüben liegt der König auf der nackten Erde. Die Mörder hat bereits der Wald verschluckt. Die Leibwache ist hüben: Ein verteufelt guter Plan! Sie haben König Albrecht mithilfe der Fähre von seiner Wache getrennt und ihn mit ihren Schwertern umgebracht - drei gegen einen! Und wer will sie einholen?
Die Reuß tobt weiter - unbändig, sinnlos.
DIE KRÖNUNG
Der Mord an König Albrecht I. durch seinen Neffen Johannes von Schwaben geschah im Jahre 1308. Fast wäre dem König gelungen, wonach er strebte - das erbliche Königtum in Deutschland. Auch sein Nachfolger König Heinrich VII. aus dem Geschlecht der Luxemburger wollte dies; und um dem mehr Nachdruck zu verleihen, griff er nach der Krone des Kaisers: Ein Kaiser, der über allem steht, über Fürsten und selbst über Königen, hat erheblich mehr Macht, um durchzusetzen, was er als richtig erachtet. Doch nur der Papst in Rom konnte Heinrich VII. zum Kaiser krönen. Rom aber war ein gefährliches Pflaster, eine zerrissene Stadt: Manche der dortigen einflussreichen Familien wollten einen Kaiser Heinrich VII., weil sie sich Vorteile von ihm versprachen - die Ghibellinen; andere wollten das verhindern und hielten es mit der Herrschaft der mächtigen Anjous in Neapel, deren Stärke für ganz Italien maßgeblich war - die Guelfen; auch sie erhofften sich von ihrer Parteinahme eigene Vorteile. Und ein weiteres Problem für Heinrich VII.: Der Papst residierte nicht mehr in Rom, sondern in Avignon. Würde es Heinrich trotz all dieser Hemmnisse gelingen, sich in Rom zum Kaiser krönen zu lassen? Mit einem Heer zog er über die Alpen, nach Süden, nach Rom; es drohnte Krieg. Und dann befiel den König ein heftiges Fieber.
Hat Geschichte einen Sinn? Am 4. Mai, dem Himmelfahrtstag Anno Domini 1312, legte der König auf seinem Zug nach Rom eine Pause ein. Er verbrachte den Tag teils im Gebet, teils in Gesprächen mit seinen Räten, Bischöfen, Herzögen und Grafen. Am frühen Morgen des nächsten Tages wurde der Weg fortgesetzt. Unwetter der letzten Tage hatten mit einem böigen Nordwind die Luft kalt und klar gemacht, der Blick schweifte weit über das ehemalige Land der Etrusker. Schwarzweiße Wolken und mit ihnen Licht und Schatten und Schauer zogen in rascher Folge über das Land. Vereinzelte Sonnenstrahlen glühten auf den Gesichtern. Das Land war sehr grün und frühlingshaft, die Bäume schon verblüht; aber die Weg-ränder, Wiesen und Hausgärten standen noch voll blauer, gelber und roter Blumen. Schwarze Pinien spannten ihre Schirme über rote und gelbe Lehmabbrüche, dunkle Steineichengruppen wechselten mit silbrigen Zypressen und Ölbäumen.
Ab und zu war Donner zu hören.
Die Städte Sutri und Baccanola wurden durchritten, Rom war jetzt greifbar nahe. Von allen Seiten kamen Menschen, meist Bauern, die den Reitern stumm nachschauten.
Dass das Heer des Königs durchziehen würde, wussten die Menschen seit Tagen. Sie standen an den Weg- und Straßenrändern und schauten mit ausdruckslosen Gesichtern. Kein Jubel. Manchmal klang Lachen auf, wenn ein Reiter sein Ross nicht recht im Griff hatte oder ein Esel im Tross nicht mehr weiterwollte. Angesichts der gepanzerten Reiter zerrten Mütter ihre widerspenstigen Kinder in die Häuser. Hunde umschnoberten die Reiter und bellten die Rosse an.
Die Herren des Landes zeigten sich - trotz der kalten Luft schwitzend - vor ihren Burgen oder Stadtpalästen und
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