Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
hatten ernste Gesichter.
Das Heer rückte hier sehr langsam voran. Zuerst kam die Vor-hut zu Pferde, dann die adeligen Herren um den König. Der König selbst ritt etwas abgesondert.
Die Zuschauer erkannten den König nicht. Zwar saß er auf einem wertvollen Ross, aber andere Herren ritten ebenfalls kostbare Tiere. Und selbstverständlich trug der König seine Krone nicht auf dem Haupt, was nicht nur die vielen Kinder enttäuschte. Sie freuten sich aber an den Farben der Gewänder, der Waffenröcke, der Schilde und Fahnen, die vorüberzogen.
Noch als Erwachsene würden sie von der Pracht des Zuges erzählen.
Dem König folgte die lange Reihe der Ritter, begleitet von ihren Knappen, jungen Burschen mit Federn auf den Hüten, die auf ihren minderen Pferden neugierig Ausschau hielten, den Mädchen zuwinkten und hofften, dass der König sie eines Tages bemerken würde.
Die Ritter waren in diesem Zug, weil sie sich Macht erhofften. Mancher zog auch mit, weil schon der Vater zum Kaiser gehalten hatte oder weil im Winter auf der väterlichen Burg Wunderdinge von diesem Land Italien erzählt worden waren.
Sie konnten auch auf Beute hoffen, wenn das Heer in Kämpfe verwickelt würde. Erzählt wurde von Männern, die einen König in einer Schlacht mit ihrem Leib gedeckt hatten und dafür zu Grafen gemacht worden waren -
Den Schluss des Heeres bildeten die Fußknechte und Bedienstete. Zuerst kamen die Juristen und Schreiber auf schlechten Pferden, dann die Köche mit ihren fahrbaren Küchen und Vorrats-wagen, dahinter gingen Knechte mit Spießen, meist Schweizer oder Böhmen, die für Geld in dem Heere dienten. Auch Frauen zogen mit - auch sie in strenger Rangordnung, schief angesehen von den Geistlichen. Eine Kavalkade von Rittern bildete die Nach-hut.
Ich selbst, der Leibarzt König Heinrichs VII., ritt in dessen Nähe, jedoch auch nicht zu nahe bei ihm - wirkliche Nähe war Herren vorbehalten, die ihn berieten. Diese Nähe war begehrt, aber der König wechselte seine Umgebung jeden Tag. Niemand sollte sich des Königs allzu sicher sein.
Seit einigen Tagen winkte er mich zu sich: »Das Fieber, das ich spüre?«
»Es ist nichts«, sagte ich und wusste es besser.
Ich hatte dieses Fieber zuerst mit einem Sud aus Weidenrinde gesenkt, dem ich getrocknete Lindenblüten hinzugefügt hatte. Der Sud schmeckte sehr bitter - der König hatte nicht einmal das Gesicht verzogen.
Aber das Fieber würde wiederkommen.
Als dem König eine Gruppe Reiter entgegenkam, trieb er sein Ross voll Erwartung vorwärts.
Der Vornehmste der Reiter, über denen bunte Wimpel flatterten, überreichte dem König ehrerbietig einen Brief. Dies geschah auf freiem Feld und zeigte allen, wie eilig die Botschaft war.
Bei der klaren Luft konnten wir - wie auch der König - auf einem Höhenzug bereits die purpurnen Dächer und Ziegelmauern einer Stadt erkennen, dem alten Veji der Etrusker, das jetzt Veio hieß. Und es wäre angesichts der hohen Würde des Empfängers angebracht gewesen, wenn der Brief dort, in der alten Königsstadt, überreicht worden wäre. Dass der König willens war, den Brief auf der Landstraße entgegenzunehmen, zeigte, wie gespannt er war auf dessen Inhalt.
Dieser Inhalt sprach sich schnell herum: Der mächtigste Mann in Italien, König Robert von Neapel, aus der Familie der Anjou, erwies sich als Feind und stellte sich einem Einzug des Königs in Rom entgegen. Krieg und Kampf würde es geben oder den Rückzug nach Deutschland über die Alpen, ohne dass der König, wie er es wollte, in Rom zum Kaiser gekrönt worden wäre. Der König besprach sich mit seinen Beratern gleich am Ort, auf einem grünen Getreideacker.
Sie beschlossen den Krieg.
Wer auf Kampf und Kriegsbeute gehofft hatte, und das waren die meisten, jubelte laut.
Wer anfänglich noch auf Frieden gehofft hatte, konnte nicht sonderlich enttäuscht sein - zu viele Kosten hatte der Zug nach Italien bereits verschlungen. Ohnehin waren diese Männer, meist ältere, gesetzte Herren aus der nächsten Umgebung des Königs, sehr in der Minderzahl. Manche waren schon an der Schwelle des Todes und blickten besorgt auf die Karren, die dem Heer nachgefahren wurden, beladen mit Helmen, Schilden, Bolzen, Armbrüsten, Spießen und Wurfgeräten.
Die Frauen fragte niemand.
Das Heer lagerte in der Nacht vom 5. zum 6. Mai unter freiem Himmel, einem sehr klaren, wolkenlosen Sternenhimmel. Wer schlafen konnte, hatte schlechte Träume von Tod und Niederlage oder gute Träume
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