Augenzeugen
meinte er, als er Toppes Überraschung bemerkte. Er sprach laut, denn hinter ihm purzelte lachend und kreischend ein ganzer Pulk von Kindern durcheinander. «Alles meine», erklärte Joosten. «Wir haben gleich zweimal den Joker gesetzt, einmal Zwillinge, einmal Drillinge.» Er drehte sich um. «Susanne!»
«Sekunde», antwortete eine Frauenstimme von weiter hinten im Haus. «Wir sind in fünf Minuten weg. Schließ dich doch so lange im Arbeitszimmer ein.»
Aber auch dort gab es zunächst mal keine Ruhe. Die ganze Zeit wurde an der Türklinke gerüttelt, geklopft, gebollert, gekichert, bis Joosten der Kragen platzte. Er hechtete zur Tür, riss sie auf und brüllte ein paar Sätze, die alle mit «wenn jetzt nicht sofort …» und «wenn ich das noch einmal …» anfingen.
Mit einem zerknirschten Lächeln kam er zurück. «Schwarze Pädagogik, ich weiß. Muss leider manchmal sein, eine Frage des Überlebens.»
Tobias Joosten war achtundzwanzig Jahre alt, gelernter Bankkaufmann und arbeitete seit drei Jahren für Geldek. Am Mittwoch hatte er den ganzen Tag Termine bei verschiedenen Banken in Köln und in Düsseldorf gehabt, aber gegen Mittag hatte ihn Geldek über sein Handy angerufen und erzählt, dass es wieder einmal Schwierigkeiten bei Multicasa gab.
«Er wollte, dass ich bei der Besprechung dabei bin, also bin ich direkt von Köln aus nach Duisburg gefahren. Alle waren da, bloß der Chef, der die Sitzung selbst einberufen hatte, tauchte nicht auf. Das war komisch, denn normalerweise ist der Chef pünktlich wie die Maurer. Ich habe sofort an einen Unfall gedacht, und mir war ziemlich mulmig, als ich ihn nicht erreichen konnte. Sein Handy war abgeschaltet und bei ihm daheim ging keiner ran. Ich wusste dann auch nicht, was ich tun sollte, also bin ich nach Hause gefahren. Und da erzählt mir Susanne, dass der Chef tatsächlich einen Unfall gehabt hat, und dass er … na ja, dass er tot ist.»
«Um wie viel Uhr war das? Wann waren Sie zu Hause?»
«Ich glaube, so gegen halb sieben. Irgendein Reporter hatte hier angerufen und wollte ein Interview mit mir. Als Susanne gefragt hat, warum, hat er ihr von dem Unfall erzählt.»
«Es war kein Unfall», sagte Toppe.
«Ich weiß», meinte Joosten zögernd, «aber das habe ich erst heute Morgen aus der Zeitung erfahren. Wissen Sie denn inzwischen, ich meine …» Er unterbrach sich selbst. «Dann wären Sie wahrscheinlich nicht hier, oder?»
Sie redeten über eine halbe Stunde miteinander. «Ich kenne die Gerüchte, die über Eugen Geldek in Kleve kursieren, genauso wie jeder andere», erzählte Joosten freimütig. «Deshalb wollte Susanne auch zuerst nicht, dass ich bei ihm anfange. Aber ich kann wirklich nichts Schlechtes über ihn sagen. Er war immer korrekt, geschäftlich meine ich. Privat, das weiß ich nicht. Ich meine, wir waren nicht befreundet oder so. Ich war ein Angestellter und hatte meinen Aufgabenbereich und damit Ende.»
Der junge Mann dachte lange nach, bevor er sagte: «Nein, ich wüsste nicht, wo sich Herr Geldek in den letzten drei Jahren geschäftlich jemanden zum Feind gemacht haben sollte, wirklich nicht.»
Es war still im Haus, als er Toppe zur Tür brachte. «Susanne wollte mit den Kleinen zum Fluss, damit ich ein bisschen Ruhe kriege. Ich muss zusehen, dass ich die Zahlen auf die Reihe bringe. Wer weiß, was jetzt wird.»
Toppe nickte abwesend und ließ seinen Blick über die Obstgärten schweifen. «Sie wohnen wirklich idyllisch.»
«Der Hof gehört meinen Schwiegereltern. Für die Kinder ist es ideal hier. Und ohne Omas Hilfe würde Susanne es gar nicht schaffen.» Er reichte Toppe die Hand. «Wenn mir doch noch etwas einfällt, melde ich mich.»
Mit der Martina Geldek, die ihm heute – geschminkt und ganz in Schwarz – gegenübertrat, kam van Appeldorn viel leichter zurecht. Sie wirkte zwar immer noch erschüttert und zerbrechlich, ließ aber keinen Zweifel daran, dass sie ihre Absicht geändert hatte. Sie würde der Polizei nicht zuarbeiten, unter keinen Umständen. Ihr Anwalt habe bestätigt, dass sie nicht dazu verpflichtet sei. Und sie würde mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern, dass der Ruf ihres Mannes geschädigt würde.
In ihren Augen lag wieder die abschätzende Härte, die van Appeldorn schon am Mittwoch aufgefallen war, bevor er seine Nachricht überbracht hatte.
Er hob eine Augenbraue und musterte sie.
«Fein», meinte er endlich. «Kommen wir zum Testament Ihres Gatten. Wer erbt?»
Sie
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