Augenzeugen
hielt seinem Blick stand und schwieg.
«Dann nicht.» Van Appeldorn bedachte sie mit einem kühlen Blick. «Es müsste Ihnen eigentlich klar sein, dass es für uns ein Leichtes ist, sofort Einsicht in die letztwillige Verfügung Ihres Mannes zu nehmen. Was ich auch tun werde, da dürfen Sie ganz beruhigt sein. Fürs Erste gehe ich davon aus, dass Sie als Angetraute und Geschäftspartnerin des Verblichenen die Begünstigte sein werden.»
Ihre Stimme war schrill, ihr Gesicht nicht mehr nur abweisend, sondern voller Hass. «Ich verweigere jede weitere Aussage!» Sie hatte zu viel Parfüm aufgelegt, süß und schwer von Moschus.
«Das ist Ihr gutes Recht», antwortete van Appeldorn, «wenn auch etwas befremdlich. Sie scheinen zu vergessen, dass Sie nicht unter Anklage stehen. Wir suchen den Mörder Ihres Mannes. Aber nun gut, meine Pflicht ist es, Sie zu fragen, wo Sie am Mittwoch zwischen, na sagen wir, fünfzehn und siebzehn Uhr gewesen sind.»
«Was?» Für eine Sekunde war sie fassungslos, dann verschloss sie sich wieder. «Ich war hier zu Hause. Wenn Sie dafür Zeugen brauchen, haben Sie Pech. Ich habe niemanden getroffen und mit niemandem telefoniert.»
Van Appeldorn ließ sich Zeit mit der Rückfahrt zum Präsidium.
Was war seit gestern mit dieser Frau passiert? Warum der plötzliche Sinneswandel, die Abwehr, dieser Hass? Hatte sie angefangen, in Geldeks Vergangenheit herumzustochern, in den Zockerkreisen zum Beispiel? Und hatte man ihr sofort gezeigt, wo die Glocken hingen, ihr gedroht? Außerdem, das mit der guten Ehe konnte man ihr glauben oder auch nicht. Was, wenn sie die Nase voll gehabt hatte von Geldek? Wenn sie die andere Hälfte des Kuchens, den sie eh schon hatte, auch noch wollte? Sie hatte zwar behauptet, mit den Typen in Geldeks dunkler Vergangenheit nichts zu tun zu haben, aber musste man das glauben? Einen zweiten Kurt Korten zu finden, war mit der genügenden Knete wahrhaftig kein Problem. Und daran mangelte es ja wohl kaum.
Sechs
Alle kamen sie kurz nacheinander ins Büro zurück, und als jeder berichtet hatte, schien selbst Cox für eine Weile seine zuversichtliche Laune verloren zu haben.
«Wir müssen die Geldek gründlichst überprüfen», sagte van Appeldorn schon zum zweiten Mal. «Jeden Stein umdrehen. Zehn zu eins, dass die etwas zu verbergen hat.»
Toppe seufzte, sie brauchten einfach mehr Leute.
«Zeugen haben sich keine gemeldet?», fragte van Appeldorn.
«Nicht einer», antwortete Cox. «Wenn sich da bis morgen nichts tut, lasse ich den Anrufbeantworter laufen. Dann bin ich flexibler und kann mit raus.»
Über irgendetwas dachte er offensichtlich nach, aber er sagte nichts, sondern legte nur jedem einen Ausdruck des Namensabgleichs auf den Platz. «Ich habe mir beide Ohren wund telefoniert. Sechs von den feineren Kandidaten können wir schon mal streichen. Die sitzen entweder im Bau oder befinden sich im Ausland.»
Toppes Blick wanderte über die Liste, bis er Eschers Namen gefunden hatte. Er folgte dem Querverweis. Natürlich! Die Kindesentführung vor vier Jahren. Kein Wunder, dass er nicht gleich darauf gekommen war. Er selbst hatte an dem Fall nicht mitarbeiten können, weil die Meinhard ihn wegen «groben Fehlverhaltens» für vier Monate vom Dienst suspendiert hatte. Diese Zeit war heute für ihn lediglich ein graues Loch. Er erinnerte sich nur an dumpfe Wut, Müdigkeit, Astrids ungeplante Schwangerschaft, viele düstere Bücher, Schlafen. Aber er wusste, dass die Akte nicht geschlossen war. Das Kind war nie gefunden worden, Eschers Stieftochter.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihn hochblicken.
Herein kam ein großer Mann, um die siebzig, mit einer beeindruckenden Nase. Er war kahl, bis auf einen flaumigen Haarkranz, dafür spross es ihm umso üppiger aus Nase und Ohren. «Bin ich hier richtig, was eine Zeugenaussage für den Unfall an der B 220 am 8. 8. angeht?»
Alle nickten. «Nur herein!», forderte Cox ihn freundlich auf.
«Beamter», dachte Toppe.
Der Mann schaute sich kurz um und wandte sich dann an ihn. «Schütz, mein Name, Oberamtmann a. D. Ich habe gezögert, ob meine Wahrnehmung für Sie überhaupt von Interesse ist …»
«Nehmen Sie doch erst einmal Platz!» Toppe holte einen Stuhl. «Jeder Hinweis kann für uns wichtig sein.»
Herr Schütz war am Mittwochnachmittag nach Emmerich unterwegs gewesen, um seine Schwester dort vom Bahnhof abzuholen. Das fand Toppe schnell heraus, aber dann wurde es schwierig. Der Oberamtmann a. D. neigte zur
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