Augenzeugen
neben der ohnmächtigen Frau am Boden hockend wieder und telefonierte hektisch nach dem Notarzt. Ein paar Minuten später hatte er sie zumindest so weit, dass er sie auf eines der weißen Ledersofas im Wohnraum legen und ihr ein Glas Wasser einflößen konnte. Sie wand sich am ganzen Körper, hatte ihre knochigen Hände mit den weißlackierten Fingernägeln aufs Gesicht gepresst und wimmerte. Heute würde van Appeldorn nichts über Eugen Geldek erfahren.
Jetzt am Abend hatte es sich endgültig eingeregnet. Es war schon nach acht, als Toppe Emmerich erreichte. Er war müde, und er sehnte sich nach Sonne und Meer, einer einsamen Bucht und leichten Gedanken. Der Rotwein zum Abendessen hatte ihm nicht gut getan, aber Astrid war es offenbar wichtig gewesen, das hastig gekochte Nudelgericht damit aufzuwerten, und so hatte er ihn widerwillig getrunken.
Bonhoeffer hatte mit der Sektion nicht auf ihn gewartet. Er hatte den Körper bereits geöffnet und war gerade mit dem Schädel beschäftigt. Die Anwesenheit eines Kripomannes war zwar vorgeschrieben, wenn sie eine Leichenöffnung angeordnet hatten, aber unter Freunden nahm man es nicht so genau. Bonhoeffer fragte auch nicht nach dem Grund für Toppes Verspätung, worüber dieser froh war, denn er hätte keine vernünftige Antwort gehabt. Nach dem Abendbrot hatte er angefangen, seine Bücherkisten auszuräumen, und dabei nicht auf die Zeit geachtet.
Bonhoeffer sah nur kurz auf. «Zieh dir Handschuhe an, du kannst mir ein bisschen helfen.»
«Bist du verrückt geworden?» Toppe machte ein paar hastige Schritte zurück.
«Hab dich nicht so.» Der Pathologe schmunzelte nachsichtig. «Du sollst mir ja nur mal das ein oder andere Instrument angeben. Ich konnte keinen hier überreden, länger zu bleiben.»
Toppe griff sich ein Paar Gummihandschuhe und trat an den Tisch. «Was hast du bis jetzt?»
«Einiges. Erst einmal, aber das siehst du ja selbst, haben wir ein Hämatom, das von der linken Schulter schräg über den Thorax bis zu den rechten vorderen Rippen verläuft.»
«Gurtverletzung», nickte Toppe.
«Er ist mit dem Wagen frontal gegen ein Gitter geprallt, sagst du. Das würde die Einblutung in die Halsmuskulatur erklären. Sie weist auf eine HWS-Distorsion zweiten Grades hin, Schleudertrauma. Ich nehme an, die Kopfstütze war zu niedrig. Van Gemmern sollte das nachprüfen. War übrigens der Motorblock ins Wageninnere gedrückt worden?»
«Nein.»
«Dann würde ich sagen, unser Freund hier hat einen kräftigen Tritt in die Eier gekriegt. Siehst du das Hämatom dort am Skrotum?»
«Einen Tritt in die Eier?», wiederholte Toppe verblüfft.
«Ja, es weist so einiges darauf hin, dass er eine Schlägerei hatte, wie zum Beispiel der gebrochene Unterkiefer links.»
«Und das Veilchen am linken Auge», bemerkte Toppe.
«Richtig! Wobei das unter Umständen auch auf einen Schädelbasisbruch deuten könnte. Aber das werden wir gleich noch überprüfen.»
Toppe hatte mittlerweile seine ärgste Abneigung überwunden und stand jetzt dicht am blitzenden Metalltisch. «Was ist mit seiner rechten Hand?»
«Gut beobachtet. Distale Radiusfraktur, Typ Smith, nach agonalem Sturz auf den Handrücken.»
Toppe stutzte und versuchte sich das vorzustellen. «Wie stürzt man denn auf den Handrücken?»
«Agonal», grinste Bonhoeffer.
«Meinst du, er war nicht bei Bewusstsein, als er hinfiel?»
«Möglich, ziemlich wahrscheinlich sogar. Auf alle Fälle ist er auf die rechte Seite gestürzt und hat dabei keinerlei Abwehrbewegung gemacht. So, und jetzt kommen wir zu der Wunde hier vorn oberhalb des linken Schläfenlappens.» Bonhoeffer setzte seine Lupenbrille auf und beugte sich über die Verletzung. «Interessant! Gib mir mal die kleine Pinzette und ein paar Objektträger – drüben auf dem Schrank … ja, danke.»
Die kleinen Partikel, die er aus der Wunde entfernte und auf die Glasplättchen brachte, konnte Toppe mit bloßem Auge kaum ausmachen, ein etwas größeres sah aus wie ein Stückchen Grashalm.
«Das gucken wir uns später an», murmelte Bonhoeffer. «Dann wollen wir mal sehen: unten und hinten unterminierter Wundrand, oben und vorn sind die Wundränder geschürft. In der Wunde befinden sich gesunde Hautbrücken und – Pinzette nochmal – danke, ja, intakte Haare. Folglich liegt keine scharfe Gewalteinwirkung vor. Einblutung in den Schläfenmuskel.» Er richtete sich auf und nahm die Lupenbrille ab. «Ich muss jetzt die Kopfschwarte entfernen. Du kannst in der
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