Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
diesen Job.« Dann nippte sie an ihrem wässrigen Kaffee und fragte: »Wer kümmert sich um den Durchsuchungsbefehl für den Spind des Jungen?«
Ich weiß nicht, ob Rei zu der Beerdigung von Taylor geht – wahrscheinlich schon. Sie fängt in weniger als einer Stunde an. Es ist schon nach acht Uhr, und wenn Rei zur Schule gehen würde, dann wäre er schon lange weg. Stattdessen ist er unter der Dusche. Ich warte neben seinem Bett auf ihn. In der letzten Woche bin ich fast zum Inventar geworden. Er grüßt mich beiläufig, als er eingehüllt in Orangen- und Zimtduft nur in Sportshorts und mit einem Handtuch über der Schulter vorbeischlendert und auf der Suche nach einem sauberen T-Shirt in einer Schublade herumwühlt. Ich kann ihn auch einfach fragen.
Gehst du zur Beerdigung?
»Ja«, sagt er und rubbelt sich die Haare trocken. »Und du?«
Ich nicke.
»Ich glaube, ich lasse aber die Kirche ausfallen. Wie wär’s … « Irgendetwas, das er draußen sieht, lenkt ihn ab. Auf seinem Gesicht macht sich ein neugieriger Ausdruck breit. »Was zum Teufel?«
Ich schwebe zum Fenster und schaue nach, was dort so interessant ist. Wir sehen uns überrascht an.
»Was soll das denn?«, fragt mich Rei.
Selbst ohne Stimme muss ich gerade viel zu sehr lachen, als dass ich antworten könnte.
Taylor sieht noch dämlicher aus als ein Zirkusclown, der auf einem winzigen Dreirad herumkurvt. Vorsichtig tritt sie mit ihren Mega-High-Heels in die Pedale meines Mountainbikes. Sie trägt einen schwarzen Leder-Minirock, ein graues Spaghettiträger-Oberteil und einen engen schwarzen Pulli. Über dieser stylischen Kombination hängt mein fast leerer Rucksack.
Rei steht nur gebannt am Fenster, ein überraschtes Grinsen auf dem Gesicht. »Jedes Mal, wenn ich denke, dass sie nicht tiefer sinken kann, tut sie es doch. Folgst du ihr?«
Na klar folge ich ihr! Ich winke und schwebe durch das geschlossene Fenster.
Taylor schafft es bis zur Hauptstraße. Dabei tritt sie so langsam in die Pedale, dass es aussieht, als würde das Fahrrad gleich umkippen. Ich erwarte, dass sie nach links in Richtung McGregor & Sons-Bestattungsunternehmen fährt. Aber nein, sie fährt nach rechts. Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, wo sie hinfährt …
Sie fährt nach Hause.
Sie schiebt mein Fahrrad ihre Einfahrt hoch und parkt es hinter dem Haus. Natürlich ist niemand da. Sie sind alle in der Kirche und trauern um ihre gerade dahingeschiedene geliebte Tochter und Schwester.
Sie holt unter der Fußmatte einen Schlüssel hervor. »Bingo«, freut sie sich. Was will sie tun? Sie geht in das Haus, und ich folge ihr zur Alarmanlage, wo sie mit den Spitzen ihrer künstlichen Fingernägel einen Code eintippt. Dann zieht sie die Schuhe aus und geht nach oben.
Soweit ich es erkennen kann, hat ihre Mutter in ihrem Zimmer nichts verändert. Eine leere Frappuccino-Flasche steht auf dem Nachttisch und ein seidenes Spaghettiträger-Oberteil und Schlafshorts liegen am Ende des Betts. Taylor sieht sich einen Moment lang um. Ihre Augen sind feucht. Eine Sekunde lang fühle ich etwas. Ist es Mitleid? Wie schwierig muss das für sie sein. Das hier sind nicht nur materielle Dinge, das ist ihre Welt, und Taylor ist für immer aus ihr ausgesperrt. Sosehr ichsie auch für all den Kummer und den Ärger der letzten Woche hasse, kann ich doch verstehen, wie viel sie verloren hat, und ich bemitleide sie.
Sie schnieft, macht den Rucksack auf und beginnt ihn mit zahlreichen Sachen aus ihrem Schrank und ihrer Kommode zu füllen. Make-up, Parfüm, Schmuck, Fotos, ihren iPod mit Ladekabel, eine Schachtel Kondome … Moment mal, eine Schachtel
was
?
Ich stecke meinen Kopf in den Rucksack, und tatsächlich, dort finde ich eine Zwölferpackung mit im Dunkeln leuchtenden Kondomen mit Gleitfilm.
Die Packung ist aufgerissen worden und einige Kondome scheinen zu fehlen. Es ist nicht leicht zu lesen, was auf der Packung steht, besonders weil Taylor mehr und mehr Sachen auf mich draufwirft. Aber ich erkenne ein Datum auf der Packung. Die Kondome sind vor über einem Jahr abgelaufen.
Ich verziehe mich in die Ecke des Raums und mache Inventur. Bisher hat sie sich Ohrlöcher stechen und meine Nase piercen lassen, meinen Arm mit einem scheußlichen Gesicht tätowiert, und sie plant, mir meine Jungfräulichkeit zu nehmen. Ich frage mich, wer der Glückliche ist.
Als sie damit fertig ist, ihr Zimmer zu plündern, geht sie ins Badezimmer und nimmt ihre Zahnbürste (bäh!), eine Packung
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