Aurora
zusammenklappbaren rosa Regenschirm schwingend, ihre erlauchten Gäste durch das Foyer des Ukraina auf die Drehtür zu. Es war eine alte Tür aus schwerem Holz und Glas, zu eng, um mehr als einen Menschen gleichzeitig aufzunehmen, also stellten sich die Wissenschaftler in der trüben Beleuchtung in einer Reihe auf, wie Fallschirmspringer über dem Zielgebiet, und wenn sie an ihr vorbeikamen, tippte Olga jedem von ihnen mit ihrem Schirm leicht auf die Schulter und zählte sie einen nach dem anderen ab, bevor sie in die eisige Moskauer Luft hinausbefördert wurden.
Franklin Adelman von der Yale University machte den Anfang, wie es ihm von Alters und Status wegen zukam. Ihm folgte Moldenhauer vom Bundesarchiv in Koblenz mit seinem albernen doppelten Doktortitel – Dr. Dr. Karl Moldenhauer –, dann die Neomarxisten, Enrico Banfi aus Mailand und Eric Chambers von der London School of Economics, dann der große kalte Krieger Phil Duberstein von der New York University, des weiteren Ivo Godelier von der École normale superieure, gefolgt vom mürrischen Dave Richards vom St Antony’s, Oxford – ein weiterer Sowjetologe, dessen Welt in Trümmern lag –, dann Velma Byrd vom Nationalarchiv der Vereinigten Staaten, darauf Alastair Findlay vom Department of War Studies in Edinburgh, der noch immer glaubte, die Sonne schiene aus Stalins Arschloch, dann Arthur Saunders von Stanford und schließlich der Mann, wegen dessen Verspätung sie zusätzliche fünf Minuten im Foyer hatten warten müssen – Dr. C. R. A. Kelso, allgemein Fluke genannt.
Die Tür schlug hart gegen seine Hacken. Draußen hatte sich das Wetter verschlechtert, und es schneite ein wenig. Winzige Flocken, hart wie Sandkörner, peitschten über die breite graue Straße und landeten in seinem Gesicht und auf seinem Haar. Am unteren Ende der Vortreppe, in einer Wolke aus den eigenen weißen Abgasen zitternd, stand ein klappriger Bus bereit, um sie zum Tagungsort zu bringen. Kelso blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden.
»Großer Gott, Fluke«, rief Adelman fröhlich, »Sie sehen einfach grauenhaft aus.«
Kelso dankte mit schwach erhobener Hand. Er sah ein paar Taxifahrer in Steppjacken, die vor Kälte von einem Fuß auf den anderen traten. Arbeiter mühten sich damit ab, eine Rolle Blech von der Ladefläche eines Lastwagens herunterzuheben. Ein koreanischer Geschäftsmann mit einer Pelzmütze fotografierte eine Gruppe von zwanzig anderen, die alle ähnlich gekleidet waren. Aber von Rapawa keine Spur.
»Dr. Kelso, bitte, wir müssen schon wieder auf Sie warten.« Der Schirm schwenkte vorwurfsvoll in seine Richtung. Er beförderte die Zigarette in den Mundwinkel, schwang sich die Tasche auf die Schulter und bewegte sich auf den Bus zu.
»Ein ramponierter Byron« – so hatte eine Sonntagszeitung ihn genannt, als er seinen Lehrstuhl in Oxford aufgegeben hatte und nach New York gegangen war, und die Beschreibung war nicht ganz unzutreffend –, lockiges schwarzes Haar, zu lang und zu dicht, um gepflegt auszusehen, ein feuchter, ausdrucksvoller Mund, bleiche Wangen und der Widerschein eines gewissen Ruhms. Wenn Byron nicht in Missolunghi gestorben wäre, sondern die folgenden zehn Jahre damit verbracht hätte, Whisky zu trinken, zu rauchen, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten und entschlossen jede körperliche Betätigung zu vermeiden, dann hätte er vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit mit Fluke Kelso gehabt.
Er hatte seine üblichen Klamotten an: ein verblichenes blaues Baumwollhemd, dessen oberster Knopf offenstand, eine nachlässig geknotete und leicht besudelte Krawatte, einen schwarzen Kordanzug mit einem schwarzen Ledergürtel, über den sein Bauch ein wenig hervorquoll, mit einem roten Baumwolltaschentuch in der Brusttasche, braune, leicht abgetragene Wildlederschuhe, einen alten blauen Regenmantel. Das war sozusagen Kelsos Uniform, an der sich seit zwanzig Jahren nichts geändert hatte.
»Junge« hatte Rapawa ihn genannt. Das Wort war für einen Mann in mittleren Jahren wie Kelso gleichermaßen absurd und dennoch seltsam zutreffend. Junge.
Die Heizung im Bus lief auf Hochtouren. Niemand redete viel. Er saß ziemlich weit hinten für sich allein und rieb auf der beschlagenen Scheibe herum, während sie die Zufahrt hinaufruckelten, um sich in den Verkehr auf der Brücke einzufädeln. Auf der anderen Seite des Ganges wedelte Saunders ostentativ Kelsos Rauch fort. Unter ihnen, im verdreckten Wasser der Moskwa, schlich ein Schlepper, auf
Weitere Kostenlose Bücher