Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
aber auch ein paar Jugendliche mit schwarzen Mützen und Lederjacken waren dabei. Es war die übliche Mischung aus Fanatikern und Schlechtmachern – Marxisten, Nationalisten und Antisemiten. Rote Fahnen mit Hammer und Sichel hingen neben schwarzen, mit dem Zarenadler bestickten Fahnen. Eine alte Dame trug ein Bild von Stalin; eine andere verkaufte Kassetten mit Marschliedern der SS. Ein älterer Mann, über den ein aufgespannter Schirm gehalten wurde, redete über ein Megaphon zu den Leuten; seine Stimme ein metallisch verzerrtes Plärren. Eine kostenlose Zeitung mit Namen Aurora wurde verteilt.
    »Kümmern Sie sich nicht um diese Leute«, sagte Olga Komarowa belehrend. Sie war von ihrem Platz neben dem Fahrer aufgestanden und tippte sich an den Kopf. »Die sind verrückt. Alles rote Faschisten.«
    »Was sagt der Mann da?« wollte Duberstein wissen, der als Weltautorität über den Sowjetkommunismus galt, obwohl er nie so richtig dazu gekommen war, Russisch zu lernen.
    »Er behauptet, die Hoover Institution hätte versucht, das Parteiarchiv für fünf Millionen Dollar zu kaufen«, sagte Adelman. »Er behauptet, wir würden versuchen, ihnen ihre Geschichte zu stehlen.«
    Duberstein lachte höhnisch. »Wer sollte denn auf die Idee kommen, deren verdammte Geschichte zu kaufen?« Er schlug mit seinem Siegelring gegen die Scheibe. »Guckt mal, ist das dort nicht ein Fernsehteam?«
    Die Aussicht auf eine Kamera brachte erwartungsgemäß Leben in die Gruppe der Akademiker.
    »Es sieht so aus…«
    »Wie überaus schmeichelhaft…«
    »Wie heißt doch gleich der Mann«, sagte Adelman, »der die Aurora herausbringt? Ist es immer noch derselbe?« Er drehte sich auf seinem Sitz um und rief den Gang hinter: »Fluke – das müßten Sie doch eigentlich wissen. Wie hieß der noch mal? Alter KGB-Mann…«
    »Mamantow«, sagte Kelso. Der Fahrer bremste scharf, und Kelso mußte rasch schlucken, damit er sich nicht übergab.
    »Wladimir Mamantow.«
    »Verrückte«, wiederholte Olga, die sich an einer Schlaufe festhielt, während der Bus ruckend zum Stehen kam. »Ich muß mich im Namen von Rosarchiv entschuldigen. Diese Leute sind nicht repräsentativ. Bitte, folgen Sie mir. Kümmern Sie sich einfach nicht um die.«
    Sie stiegen aus dem Bus. Ein Kameramann filmte sie, während sie, von Gejohle verfolgt, den asphaltierten Vorplatz überquerten und an ein paar welken Weißtannen vorbeizogen.
    Fluke Kelso bewegte sich ganz bewußt ans Ende der Kolonne. Er pflegte seinen Kater, indem er den Kopf bedachtsam aufrecht hielt, als trüge er einen Krug mit Wasser darauf. Ein pickeliger Jüngling mit einer Drahtbrille drängte ihm ein Exemplar von Aurora auf, und Kelso konnte einen flüchtigen Blick auf die Titelseite werfen – eine Karikatur von zionistischen Verschwörern und ein merkwürdiges kabbalistisches Symbol, das ein Mittelding zwischen einem Hakenkreuz und einem Roten Kreuz war –, bevor er es dem jungen Mann wieder an die Brust drückte. Die Demonstranten johlten höhnisch.
    Ein Thermometer an der Wand neben dem Eingang zeigte ein Grad minus an. Das alte Namensschild war abgeschraubt und durch ein neues ersetzt worden, aber es paßte nicht ganz, so daß man auf den ersten Blick sehen konnte, daß das Gebäude umbenannt worden war. Jetzt nannte es sich »Russisches Zentrum für die Erhaltung und das Studium von Dokumenten der modernen Geschichte«.
    Wieder blieb Kelso zurück – die anderen waren schon längst hineingegangen – und musterte die von Haß erfüllten Gesichter auf der anderen Straßenseite. Dort waren etliche Männer, die ungefähr so alt waren wie Rapawa, durchgefroren und mit von der Kälte geröteten Gesichtern, aber er war nicht unter ihnen. Kelso machte kehrt und ging nach drinnen, in das düstere Foyer, wo er Mantel und Tasche an der Garderobe abgab, bevor er sich unter der vertrauten Statue von Lenin hindurch auf den Weg zum Vortragssaal machte.
    Noch so ein Tag.
    An dem Symposium nahmen einundneunzig Delegierte teil, und fast alle von ihnen schienen sich in dem kleinen Raum zusammenzudrängen, in dem Kaffee serviert wurde. Er holte sich eine Tasse und zündete sich wieder eine Zigarette an.
    »Wer spricht zuerst?« sagte eine Stimme hinter ihm. Es war Adelman.
    »Askenow, glaube ich. Über das Mikrofilm-Projekt.«
    Adelman stöhnte. Er war aus Boston, in den Siebzigern und in jenem Dämmerungsstadium der Karriere, in dem es so aussieht, als verbrächte man den größten Teil seines Lebens in Flugzeugen oder

Weitere Kostenlose Bücher