Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Abfolge.
Es gibt viele Mitarbeiter im Präsidium, die die
Luft anhalten, wenn Wolff den Raum betritt. Heute war es nicht anders.
Plötzlich, als habe jemand einen Lautsprecher abgestellt, erstarb das
Stimmengewirr.
„Wo ist Hanson?“ hörte er die markante Stimme
seines Präsidenten. Hanson erschrak. Den Alten jetzt hier zu haben, war nicht
in seinem Sinne. Durch die Anwesenheit hoher Vorgesetzter waren einige Kollegen
oft verkrampft, andere meinten dann immer, sich besonders hervortun zu müssen,
legten dann immer ein hohes Sendungsbewusstsein an den Tag. Wer, verdammt noch
mal, hatte den Präsidenten bloß informiert? Der Dauerdienst bestimmt nicht.
Höchstwahrscheinlich hatte der alte Haudegen daheim den Polizeifunk abgehört
und mitbekommen, als Hanson im Funkstreifenwagen die Alarmierungslawine
lostrat.
Zaghaft setzte das Stimmengewirr wieder ein, war
aber nun mehr ein dumpfes Stimmenrauschen. Mit einem Stoßgebet, mit seiner
Vermutung ins Schwarze getroffen zu haben, und bewaffnet mit seinem
Spickzettel, den beiden Zeitungen und dem Foto des Kanaldeckels ging Hanson in
den Kommissionsraum.
Die Kollegen begrüßte er mit einem Hallo, den
Präsidenten mit einem Handschlag und legte wie beiläufig, ohne Kommentar
versteht sich, die Zeitungen und das Foto auf den Tisch.
„Bingo“, Haller schien als Erster zu verstehen.
Entsetzen spiegelte sein Gesichtsausdruck wider. „Was zum Teufel geht ...“ Er
ließ den unvollendeten Satz verklingen, als könne er das Unfassbare nicht in
Worte kleiden.
Wolff begriff etwas langsamer. Seine
Gesichtsfarbe wurde langsam um einige Nuancen bleicher und näherte sich dem
Weiß der Tapete an. „Mit welchem Gegner schlagen wir uns hier, können wir ihn
jemals aus der Deckung zerren? Unglaublich, Dag“, lächelte Wolff anerkennend,
„was Sie da ausgegraben haben. Ich gratuliere Ihnen zu dieser brillanten
kriminalistischen Kombination. Meine Phantasie reicht nicht aus, die Folgen für
Europa abzuchecken, wenn wir jetzt versagen“.
Inzwischen hatte jeder das Unbegreifliche
begriffen. Bleierne Stille senkte sich über die Versammlung. Jeder im Raum
teilte Hansons Befürchtungen, was ihm selbst ein bisschen den inneren Druck von
der Seele nahm. Lag er doch mit seiner Gefährdungseinschätzung goldrichtig und
nicht so falsch, wie ihm sein Unterbewusstsein in den letzten Minuten ständig
einzureden versuchte. Alles schien mit einem Male so unglaublich banal, schien
passend ineinander zu greifen.
Gleichwohl erläuterte Hanson allen Anwesenden
seine Befürchtungen, die sich aus einer logischen Verknüpfung aller Fakten nach
seiner Einschätzung zwingend ergaben. Anerkennendes Schweigen senkte sich im
Kommissionsraum herab. Dann brandete ein Trommelwirbel auf. War es Haller oder
Pelka, der mit den Knöcheln seiner Finger auf den Tisch zu trommeln begann.
Alle, auch Wolff, stimmten in diese als Applaus gedachte Trommlerei mit ein.
Ein wenig war es Hanson peinlich, aber es schmeichelte seinem Ego und wärmte
sein Herz. Es tat ihm wohl.
Es schien, als wollte Pelka der allgemeinen
Heiterkeit ein jähes Ende bereiten, als er gedankenschwer die Frage stellte:
„Welchen Interessen haben all die Morde gedient?“
Eine für alle unerträgliche Pause war die Folge.
„Macbeth“, entgegnete Haller wie in Trance.
„Macbeth?“, echote Wolff listig und zog dabei
seine Brauen zusammen. „Haller, was wollen Sie uns damit sagen, außer, dass Sie
ihren Shakespeare gelesen haben?“
„Macht, es geht immer nur um Macht, um
wirtschaftliche oder politische Macht“, antwortete Haller mit immer noch der
gleichen geistigen Entrückung.
„Haller, würden Sie die Güte haben, uns an ihrem
literarischen Höhenflug teilhaben zu lassen?“, warf Wolff ärgerlich ein.
Haller räusperte sich, „Gewalt und Politik sind
oft miteinander verwoben. Die Geschichte als auch die Literatur ist voll von
solchen Gräueltaten. Beispielsweise schwört sich Klingsor in Parsifal die
machtverheißenden Reliquien, Gral und den Heiligen Speer, dem König Titurel mit
Gewalt zu rauben und in der Nibelungensaga meuchelt Hagen von Tronje Siegfried
und last but not least Macbeth eben. Die Geschichte wiederholt sich vor unser
aller Augen. Macbeth tötete im Jahr 1040 den König Duncan I und erbeutete
seinen Thron. Ich frage mich, welche politische Gruppe sich heute, knapp
tausend Jahre später, welche Macht widerrechtlich einverleiben will.
Wolff nickte anerkennend mehrmals mit dem Kopf.
„Donnerwetter, Haller,
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