Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
andere,
noch versteckte Indizien klar zu erkennen. „Klar, der Blinde sieht nur das, was
er sehen will“; spottete er mit grimmiger Verzweiflung über sich selbst. Und
blind ist er bis jetzt durch die Ermittlungen gestolpert, oder? Klar, wollte er
endlich eine Klärung des Warums, vielleicht sogar eine Klärung mit aller Macht?
„Da lässt man sich manchen Blödsinn einfallen“, parodierte er nochmals
selbstironisch. „Lachhaft, einfach lachhaft“, sagte er sich. Vielleicht hätte
er mit Gerber alles in Ruhe besprechen sollen, bevor er die gesamte Kommission
hatte alarmieren lassen. Es half nichts, mit sich zu hadern, jetzt musste die
Sache durchgezogen werden, denn die Kollegen waren sicherlich schon unterwegs
zur Dienststelle, kaum dass sie Feierabend hatten. Sicher, in Anbetracht der
sichergestellten Beweismittel, war an seiner Konstruktion der kriminalistischen
Gefährdungsanalyse nichts auszusetzen, versuchte Hanson sich zu beruhigen.
Oder? Nagende Selbstzweifel plagten ihn.
Der Chemiker vom Landeskriminalamt würde in
wenigen Minuten Klarheit schaffen können. Ihn hätte Hanson zuerst
benachrichtigen sollen. Sein Untersuchungsergebnis ließ entweder den
Polizeiapparat aufplustern oder Hansons Inspiration und seine Befürchtungen
wurden vor der gesamten Kommission ad absurdum geführt. Dann hatte er
tatsächlich nur heiße Luft produziert, dann würde seine Reputation zu bröckeln
beginnen. Aber eine vermeintliche oder tatsächliche Fehlanalyse führt nicht
zwangsläufig zu einem vorwerfbaren Irrtum, wenn sie kritisch hinterfragt worden
war, hatte Wolff ihn ständig gelehrt. Angesichts der Zeitungen hatte Hanson an
der Förde x-mal seine Gefährdungsanalyse hinterfragt. Immer mit gleichem Ergebnis.
In deutlichen Bildern offenbarte sich ihm an der Förde alles. Jetzt war er
nicht mehr so sicher. Dieser kleine Hoffnungsfunke hatte sich nicht zu einem
Zündfunken, der alles klären würde, entwickelt. Im Gegenteil, seine Zuversicht
war erloschen, alles schien mit einem Mal so bizarr, so völlig aberwitzig.
Gleichwohl zwang ihn seine kriminalistische Ausbildung, diesen widersinnigen
Gedanken weiterzuspinnen. Behielte er mit seiner Analyse recht, stand ihnen
allen eine lange Nacht bevor. Aber das war ja kaum zu befürchten, suggerierte
ihm sein stets kritisches Ich. Was, wenn aber doch? Alles hing von der Analyse
des Chemikers vom Landeskriminalamt ab. Mittlerweile war es kurz nach fünf Uhr
nachmittags. Nachdenklich schaute Hanson nochmals auf die Bilder, die vor ihm
auf dem Schreibtisch lagen. Es gab überhaupt keinen Zweifel, Gullydeckelrelief
und das Embleme auf den Flaggen des Familienfotos waren identisch.
Wenn ihn seine geographischen Kenntnisse nicht
trogen, lag Halifax an der Ostküste Kanadas, ungefähr auf gleicher
geographischer Länge wie New York, vielleicht ein wenig östlicher. New York
hing immer sechs Stunden hinter der Mitteleuropäischen Zeit hinterher. Demnach
war jetzt in Halifax Mittagszeit. Mit jeder Stunde verkleinerte sich das
Zeitfenster, in dem noch rechtzeitig agiert werden konnte. Ließen sich die
Behörden in Halifax von der Gefahr überzeugen, in der die Führungseliten der
westlichen Industrienationen wahrscheinlich schwebten. Konnte das
Ablaufprotokoll der Konferenz noch geändert werden oder waren die dortigen
polizeilichen Strukturen genauso verkrustet wie in Deutschland? Welche
nationalen und internationalen Alarmierungswege mussten eingeschlagen werden?
Fragen nichts als Fragen, die alle von der Analyse des Chemikers abhingen, der den
Inhalt des Deckels schnellsten zu untersuchen hatte, falls es einen Inhalt gab.
Alle angeforderten Kräfte hatte der
Kriminaldauerdienst entsprechend seiner fernmündlichen Weisung aus dem
Funkstreifenwagen alarmiert. Begeistert würden sie nicht sein, malte sich
Hanson aus. Die meisten waren sicherlich mit ihren Familien unterwegs, um den
ersten schönen Sommertag dieses Jahres im Freien zu verbringen.
Schritte auf dem Flur kündeten davon, dass die
ersten Kollegen eingetroffen waren. Wie immer traf man sich bei solchen
Zusammenkünften im Kommissionsraum. Hansons Vorzimmer war noch nicht besetzt,
seine Sekretärin ließ sich immer viel Zeit. Hanson öffnete die Tür zum Flur und
hörte das Stimmengewirr aus dem Kommissionsraum, konnte die meisten der Stimmen
identifizieren. Für den Fall, dass der Chemiker seinen Verdacht bestätigte,
notierte Hanson stichwortartig alle zu ergreifenden notwendigen Maßnahmen in
chronologischer
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