Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Auch
Herbert würde es verstehen, würde nicht verlangen, dass sie bis zum Ende ihrer
Tage ein Witwendasein führen sollte. Nein, sie hatte lange genug und angemessen
getrauert. Entschlossen griff sie den Rahmen, zog eine andere Kommodenschublade
auf und legte das Foto unter einen Stapel Betttücher, ganz nach unten. Dann
setzte sie sich trotzig auf die Bettkante und erinnerte sich, wie Hanson zum
ersten Mal in die Praxis kam. Ein stattlicher, vielleicht etwas verschlossener
aber allemal ein interessanter Mann mit Charisma. Als dann seine Frau starb,
litt er Höllenqualen. Er musste seine Frau sehr geliebt haben. Und als dann ihr
Herbert plötzlich und unerwartet an einem Schlaganfall verstarb, konnte sie
seinen Schmerz nachvollziehen. Nun wusste sie aus eigner Erfahrung, wie viel
Kraft nötig war, um alleine zu überleben. Für einen Mann, der im Haushalt wenig
geübt ist, war es allemal schwerer als für eine Frau. Jetzt waren sie beide
verwitwet, beide hatten den schweren Verlust ihrer Partner durchleben müssen
und sich wieder aufgerappelt und standen nun mit beiden Füßen wieder fest im
Leben. Sicher, dem Dag fehlte die Frau, was ihm oft anzusehen war. Aber der
Faszination, die von ihm ausging, tat das keinen Abbruch. Schon damals wusste
sie, dass Hanson zu den außergewöhnlichen Männern gehörte. Ein Mann aus festem
Urgestein, wie ein Fels in der Brandung. In seiner Nähe müsste man sich wohl
und geborgen fühlen. Mit jedem seiner Zahnarztbesuche wurde dieser Mensch ihr
sympathischer. Früh ahnte sie, dass sie initiativ werden müsste, wollte sie
diesen wortkargen Mann näher kennen lernen. Auch Jörg, ihr Chef, ließ nur Gutes
durchsickern, wenn er von Dag Hanson, als seinem Freund sprach. Immer wieder
und immer öfter dachte sie an Hanson, bis sie sich nach Monaten eingestehen
musste, dass sie sich verliebt hatte. Dem Himmel sei Dank, dass es ihr gelang,
diesen interessanten Typen zu umgarnen.
Kapitel 58
Kiel, Polizeipräsidium, Mittwoch, 14.06.1995,
19.45 Uhr
Wenn die Jagd ganz zur Jagd wird, entwickelt sie
oft eine Logik, eine eigene Logik, die nicht immer die richtige Art des Denkens
hervorbringt. Hatte sich eine solche Logik Hansons bemächtigt? Er zweifelte.
Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen die zwei Zeitungen mit den so genannten
Familienfotos der Politiker und die Fotografie des Kanaldeckels aus dem Daimler
des Dr. Dr. Beyer. Wieder und wieder las Hanson sich den Untertitel der Bilder
und die Artikel zum G7-Treffen in Halifax durch.
Die Regierungschefs der sieben größten
Industrienationen trafen sich wieder einmal turnusmäßig, diesmal in Kanada. Als
Gast war der russische Präsident Jelzin eingeladen und wurde erst morgen vor
dem Abschlusskommuniqué erwartet. Er fehlte auf der Treppe.
Irgendwo unter dem Adrenalin der letzten Schübe
tat sich was bei Hanson. Jetzt, in seinem Büro wurde die euphorische Zuversicht
von düsteren Zweifeln verdrängt. Ihm kamen Bedenken. War es realistisch, was er
sich auf der Promenade der Kieler Förde zusammengesponnen hatte? Oder würde er
sich als einsamer Rufer lächerlich machen und bei seinen Kollegen keine
Resonanz finden und nur Spott ernten? Die Antwort auf diese Frage, jagte ihm
mehr Angst ein als die Frage selbst. Alle möglichen Antworten waren
beängstigend.
Ging da seine Phantasie mit ihm durch? -
Vielleicht.
War ein solcher perverser Rigorismus von
politischen Wirrköpfen möglich? - Vielleicht.
Oder war das erdachte Szenario Blödsinn? -
Vielleicht.
Hansons Hypothese war so simpel wie
folgenschwer, wenn, ja wenn sie zutraf. Wer aber sollte seine Räuberpistole,
diesen hanebüchenen Unsinn glauben? Welch ein arroganter Gedanke, dass
ausgerechnet er den Stein der Weisen gefunden haben sollte. Mein Gott, wie
selbstgefällig waren seine Analysen? Waren das die Folgen der vielen
schlaflosen Nächte, in denen er sich das Hirn und den Kopf zermarterte?
Aber die zarte Stimme in seinem Kopf wurde
lauter, drang durch das Tosen seiner Gedanken und drängte ihn vorwärts, drängte
ihn, nicht aufzugeben. Andererseits wusste er, dass die Dinge oft nicht so
waren wie sie schienen. Oft lag die Wahrheit dort, wo man sie am wenigsten
vermutete, das wusste er als Kriminaler genau, das hatte ihn seine Erfahrung
gelehrt. Es erschien ihm jetzt unwahrscheinlich, dass die Beantwortung des
großen Warums in Halifax zu finden war. Welch eine Verwegenheit, die ihm da in
den Sinn gekommen war. Diese absurde Theorie machte ihn doch blind,
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