Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Schließfächern.
Da, genau was er befürchtet hatte, die
Schließfächer wurden videoüberwacht. Die vielen Kameras vermittelten nur eines:
wir sehen alles. In Deutschland hätte ihn diese Tatsache weniger beunruhigt. Er
wusste, dass dort aus datenschutzrechtlichen Gründen die Videoaufzeichnungen
nur anlassbezogen aufbewahrt und ausgewertet werden durften. Ohne Anlass
mussten alle Aufzeichnungen nach 24 Stunden gelöscht werden. Ein Schmunzeln
huschte über sein Gesicht, in ihrer Perfektion, alles zu regeln und in
Verordnungen und Gesetze zu gießen, hatten es die Deutschen mal wieder
geschafft, der gesamten Exekutive Fesseln anzulegen. Es konnte ihm nur recht
sein.
Schüßler näherte sich mit dem
Schließfachschlüssel in der Hand, die Überwachungskamera im Rücken, dem
Schließfach 200 und entnahm ihm einen wattierten Briefumschlag, den er
schleunigst in seiner Manteltasche verschwinden ließ.
Mit dem wattierten Briefumschlag eilte alias
Schüßler in der Ankunftshalle den öffentlichen Toiletten entgegen. In einer
freien Box schloss er sich ein und öffnete voller Neugier das Kuvert. Es enthielt
die Portraitaufnahme eines Mannes und einen weiteren Schließfachschlüssel.
Name, Vorname, Anschrift und Personenbeschreibung des abgebildeten Mannes waren
auf der Rückseite der Aufnahme in kyrillischer Schrift notiert. Ein zusätzlich
aufgeklebtes Label nannte ihm seinen Kontaktmann mit Vor- und Zunamen und die
Berliner Anschrift sowie die Telefonnummer unter der dieser zu erreichen war.
Dann verwandelte er sich von Schüßler in Wagner,
indem er seinen Mantel wendete und nun die vornehme, hellbraune Kamelhaarseite
außen trug. Verwandlungen solcher Art waren nichts Besonderes, sie gehörten zur
Routine, waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Sie dienten nur dem Zweck,
Spuren zu verwischen. Erinnerte sich ein Mitreisender des LOT-Fluges an ihn,
lautete die Beschreibung: Businessman mit dunkelblauem Garbardinmantel. Auch
war es ihm wichtig, in zwei Etappen nach Berlin zu fliegen. Seine Identität
ließ sich so besser verschleiern, sollten tatsächlich die Passagierdaten beider
Flüge miteinander verglichen werden. Höchstwahrscheinlich war alles, was er zu
seiner Tarnung bislang getan hatte, überhaupt nicht nötig gewesen, wusste er
doch, dass flüchtige und beiläufige Begegnungen als Erinnerungen rasch aus dem
Gedächtnis, dem Neokortex, gestrichen werden und wieder der Vergessenheit
anheim fielen.
Die Daten auf dem Label musste er auswendig
lernen, um dann das Label selbst von der Fotografie zu entfernen, um es zu
vernichten. Während des Fluges nach Berlin würde er genügend Zeit haben, die
wenigen Labeldaten zu lernen. Es fiel ihm immer schwerer, Personaldaten zu
lernen. Das Alter forderte eben doch schon seinen Tribut.
Ein kurzer Blick auf seine geerbte Taschenuhr
verriet ihm, dass die SAS-Maschine der Skandinavischen Luftverkehrslinie
bereits in einer halben Stunde nach Berlin starten sollte. Höchste Zeit, sich
am SAS-Schalter einchecken zu lassen. Aus seinem Koffer kramte er die
Flugtickets und den zweiten Satz Ausweispapiere hervor. Schukow alias Schüßler
würde nun als Bernd Wagner, geb. 22.01.1944 in Bremen, nach Berlin fliegen.
Bernd Wagner war 1952 als kleiner Bub über Bremerhaven mit seinen Eltern in die
USA ausgewandert. Von dieser Person dürften nach seiner Einschätzung nur noch
die standesamtlichen Unterlagen in Deutschland existieren. Sollten noch Verwandte
von Wagner in Deutschland leben, könnten sich diese mit großer
Wahrscheinlichkeit nur an einen 8-jährigen Buben erinnern.
Schukows neue und falsche Identität würden diese
Leute nicht aufklären können.
Die Passkontrolle verlief ohne Beanstandungen. Kein
Wunder bei den untadeligen Papieren.
Das Wetter hatte sich beruhigt, die Schneefront
war nach Westen weitergezogen. Die SAS-Maschine, in der er neben einem
dänischen Geschäftsmann Platz genommen hatte, rollte auf die Startbahn, die
Chefstewardess erklärte im Gang die üblichen Sicherheitshinweise, der Pilot gab
Vollgas, Schukow alias Wagner wurde in seinen Sitz gedrückt; pünktlich hob der
Flieger in Richtung Berlin ab.
In Englisch begrüßte der Pilot seine Fluggäste
und verkündete, dass die Maschine die vorgeschriebene Flughöhe erreicht habe
und der ständig von West nach Ost wehende Jetstream weniger stark als erwartet
blase. Deshalb werde man voraussichtlich cirka fünfzehn Minuten eher in Berlin
landen, wenn die Geschwindigkeit von 512 Knoten über Grund
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