Aurum & Argentum (German Edition)
Mantichora wetzten hinterdrein, so ging es im Nu dahin, über die ausgedehnte Wiese, deren Halme immer saftiger wurden. Bäume der unterschiedlichsten Sorte standen vereinzelt oder in kleinen Gruppen und streckten ihre ausladenden Äste der Sonne entgegen. Flux konnte einen kleinen Hain von Goldregenstauden ausmachen, die Pflanzen waren zwar giftig, aber auch sehr beliebt. Ein glasklares Flüsschen schlängelte sich durch die grüne Idylle, das sich an vielen Stellen zu kleinen Seen oder Teichen ausweitete. Leon musste mehrfach über die schmalen Bachläufe springen und dem verspielten Reinecke machte es große Freude, mitten hinein zu hüpfen, sodass das Wasser nach allen Seiten spritzte. Der Mantichora lachte immer wieder herzhaft und manchmal sprang auch er mit Absicht in den Fluss. Calep, der nun dicht neben ihnen flog, fand das alles auch sehr komisch: „Ich glaube, bei euch wird es mir sehr gefallen!“
So verging die Zeit wie im Fluge und als es langsam dämmerte, begannen sie, nach einem Nachtquartier zu suchen. „Wie wäre es damit?“, krähte Calep, als sie eine Gruppe von milchweißen Hirschkühen mit güldenen Geweihen passiert hatten, die aus einem Nebenflusslauf tranken. Gewaltig und atemberaubend schön erhob sich vor ihnen ein stummer Zeuge etlicher vergangener Jahrzehnte. Sein mahagonifarbener Stamm ragte viele Meter empor gen Himmel und seine Äste überschatteten mehrere Dutzend Quadratmeter.
„ Bei Thors Hammer!“, brummte der Mantichora. „Nie zuvor sah ich solch einen gewaltigen Kastanienbaum!“ Seine Blütenkerzen waren violett-pink, orange-gelb oder blau-weiß und die Blätter variierten in sämtlichen Grüntönen.
Calep landete auf einem silbergrauen Findling. „Wohl wahr“, schmunzelte er, „wenn der Baum sprechen könnte, hätte er sicher viel zu erzählen.“
Flux und Leon waren ihrerseits auch überwältigt von dem überragenden Florawunder, der junge Reinecke hingegen schnüffelte lieber ausgiebig das weiche Moospolster ab, das sich im Schatten unter den Ästen ausbreitete. Dabei scheuchte er harmlose Blindschleichen in allen Regenbogenfarben auf. Die beinlosen Eidechsen schlängelten in heller Panik davon.
„ Alles im grünen Bereich!“, kläffte Reinecke nach der Generalinspektion. „Ich konnte nichts Verdächtiges entdecken!“
„ Gut gemacht“, lobte der alte Kater, „dann können wir ja bedenkenlos hier verweilen.“
Das Nachtlager war schnell errichtet, die Holzschälchen wurden verteilt und der Proviantsack herumgereicht.
„ Ich habe gut und ausreichend in der letzten Nacht gespeist“, lehnte der Mantichora dankend ab, als man ihm auch etwas anbot.
Flux seufzte derweil: „Nicht schon wieder Käsebrot!“
„ Teewurst wächst leider nicht auf Bäumen“, entschuldigte sich sein Bruder, „willst du lieber ein paar Walnüsse knacken?“ Doch das sprach dem Elfen auch nicht sonderlich zu.
„ Nimm dir ein Beispiel an dem Enfield“, wurde er von Calep belehrt, „der Bursche isst, was auf den Tisch kommt.“ So war es auch, Reinecke verspeiste, was er aus dem Beutel herausholen konnte, und zwar alles wild durcheinander. Flux schob die Unterlippe vor und nahm sich ein paar Kirschen.
„ Viel lieber hätte ich jetzt eine Nudelsuppe“, doch damit konnte man ihm leider nicht dienen. Tröstend war immerhin, dass wenigstens der Wasserschlauch ihm gab, was er wünschte: Traubensaft.
„ Schlaft wohl“, schnurrte der Mantichora, als er wieder zu seinem nächtlichen Streifzug aufbrach, „ich werde in der Nähe bleiben.“
Reinecke, der längst auf dem Rücken lag, schnarchte bereits.
Flux ächzte und schielte zu Calep. „Von wegen großer Beschützer, er ist weder ein Drachenritter, noch ein Riese oder Minotaurus. Warum nur hat Morgana ihn ausgewählt?“
Leon wusste die Antwort nicht: „Und warum hat sie uns ausgesucht?“
Nun schwieg der kleine Elf.
„ Gib ihm doch noch eine Chance“, bat Leon, „er ist sicher kein schlechter Kerl. Er ist doch ganz witzig. Außerdem scheint er schon weit herumgekommen zu sein. Sicher weiß er vieles über die Welt. Wir zwei aber waren nie weit weg von unserem Zuhause.“
Da hatte er nun auch wieder Recht. „Na schön“, lenkte Flux ein, „morgen werde ich noch einmal gucken, ob ich in leiden mag.“ Schließlich schuldete er seinem großen Bruder den Gefallen.
Calep hatte sich längst ins Moos gelegt, er starrte hinauf zu dem Blätterdach der Kastanie und atmete schwer.
„ Hast du Kummer?“,
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