Aurum & Argentum (German Edition)
entgegen stürzten. „Renn, renn!“, atemlos kam Flux bei ihm an. Der Kentaur überlegte auch nicht lange, nahm den kleinen Bruder auf den Arm und spurtete los.
„ He! Warte!“, Calep nahm seine Ziegenbeine in die Hand und sprang mit einem Satz auf Leons Pferderücken. „Hüh hott!“, krächzte er und es lag kein Scherz in seiner Stimme, sondern die nackte Furcht.
„ Schneller!“, keuchte nun auch Reinecke, er nahm Anlauf, sprang und verfehlte Leon knapp. Doch in letzter Sekunde griff Calep zu, erwischte den Enfield im Genick und wuchtete ihn zu sich herauf.
„ Und jetzt lauf, so schnell du kannst!“, flehte Flux.
Leon tat zwar, wie ihm geheißen, doch seine Neugier ließ ihn einen Blick zurück über die Schulter werfen. Er hörte ein tiefes Schnauben, Äste, die unter starken Hufen zerbrachen, und er konnte auch das dazugehörige Tier klar erkennen, kein Wunder, es galoppierte auch nur wenige Handbreit hinter ihm. Das verstimmte Wesen war gebaut wie ein Wildesel, aber noch größer als ein Pferd. Sein muskulöser Körper war mit weißem Fell bedeckt und sein Kopf dunkelrot. In seinen tief blauen Augen funkelte die kalte Wut und das gerade Horn, das der breiten Stirn entsprang, trug es vor sich her wie eine Lanze. Der Kopfschmuck war bestimmt einen halben Meter lang, am Ansatz weiß, in der Mitte schwarz und die Spitzte leuchtete warnend blutrot.
Leon lief es kalt den Rücken herunter, nun wusste er, warum die Ausreißer in so heller Aufregung waren. Augenblicklich gab er Fersengeld und raste davon wie ein geölter Blitz. Der Einhornhengst fiel zurück und wieherte verärgert.
„ Was habt ihr denn nur gemacht?“, schnaufte Leon, doch im Moment war nicht der rechte Zeitpunkt für Erklärungen, gerade rasten sie am schlafenden Mantichora vorbei. Flux und Calep schrien sich zwar die Seele aus dem Hals und gestikulierten wild mit den Armen, doch die einzige Reaktion des Langschläfers darauf war ein wohliges Grunzen.
Mit seiner Hilfe war nicht zu rechnen und daher rannte Leon, so schnell er konnte, und setzte über einen ziemlich breiten Flussarm hinüber, doch auch damit konnte er den Verfolger nicht aufhalten. Wiehernd sprang dieser hinterdrein und Reinecke schlotterte, er kniff die Augen zu und krallte sich an Caleps wolligem Ziegenfell fest. Flux schielte die ganze Zeit zurück.
„ Er kommt wieder näher!“, japste er. „Tu doch etwas!“
Verzweifelt sah Leon nach hinten, wie konnte er den wild gewordenen Hengst nur beruhigen? Ihm fiel partout keine Lösung ein.
„ Vorsicht! Baum!“, durchbrach Caleps Stimme die Grübelei, Leon riss den Kopf herum und sah mit Schrecken den Apfelbaum, dem sie sich auf Frontalkurs näherten, nun war schnelles Handeln die Devise! Um dem Zusammenprall zu entrinnen, schlug Leon einen viel zu engen Haken, dabei stolperte er über seine eigenen Hufe, kam ins Trudeln und kippte zur Seite. Kreischend landeten er und seine Passagiere am Boden. Der Verfolger donnerte dich an ihnen vorbei, dann stieß er einen gellenden Laut aus und augenblicklich war Ruhe. Flux schluckte trocken, Calep versuchte sich aufzurichten und Reinecke, der halb über ihm lag, ließ die Zunge aus dem Maul hängen. Leon hob vorsichtig den Kopf und sah sich um. Die Stirn des Hengstes lehnte am Stamm des Obstbaumes und er kullerte etwas benommen mit den Augen. Langsam kam das Tier wieder zu sich und bemerkte dabei natürlich auch die Misere, in der es steckte. Sein Horn hatte sich nämlich bis zum Ansatz in das Holz hineingebohrt. Flux zog den Kopf ein. „Das wird seine Laune sicher nicht besser machen.“ Damit hatte er auch vollkommen recht, der wild gewordene Esel kreischte vor Zorn, er stemmte sich mit den Vorderhufen gegen den Baum, er zog und zerrte, doch sein Horn rührte sich nicht.
„ Bei Poseidons Dreizack!“, krakeelte Calep, der flott wieder auf die Beine kam. „Das ist ja wie im Märchen!“ Lässig stemmte er die Hände in die Hüften und sah den hitzigen Rotkopf grinsend an. „Ich bin das tapfere Schneiderlein! Ich habe das Einhorn gefangen!“
Flux schnaubte entrüstet: „Hast du etwa auch sieben Riesen erschlagen?“
Calep feixte: „Nein, aber sieben dämonische Fliegen habe ich bestimmt schon einmal auf einen Streich mit meinem Wunderbesen erwischt!“
Wer so groß angeben konnte, der war sicher nicht verletzt, Leon beruhigte das ungemein. Auch seinem Brüderchen und Reinecke ging es offenbar prächtig. Nur Leon selbst spürte eine schmerzhafte Zerrung in seinem
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