Aus dem Berliner Journal
den Akten in der Hand, meine kostbare Zeit nicht allzulang in Anspruch nehmen, und als ich ihm die Speisekarte aufschlage: Machen Sie doch keine Staatsaffäre! Es ist 19.30, Zeit zum Essen, noch Zeit genug zum Gespräch. Ein Mann mittleren Alters, Parteimitglied, literarisch sehr unterrichtet, wenn auch anders als wir; ich kenne manche Namen, die ihm geläufig sind, überhaupt nicht. Wider Erwarten prüfen sie doch, ob das TAGEBUCH 1966-1971 für die DDR möglich wäre ; wenn nicht gerade jetzt, so später. Der Haken: meine Notizen aus der UdSSR. Ein unbefangenes Gespräch, sozusagen unbefangen; einmal sagt er selber: Wir sind so erzogen, immer die Pflicht voran! Trotz der Akten, die Herr Gruner sogleich auf den Tisch gelegt hat, habe ich mir gestattet, eine Flasche zu bestellen, Dôle, bitte nicht zu missverstehen als dreiste Demonstration unseres Wohllebens im Westen. Man ist behutsam mit Fragen, die für den Frager billig wären, und überrascht 23 über jede offene Antwort, über Vertrauen, wenn es sich einstellt. Aber es bleibt eine Spur von Ängstlichkeit, zumindest eine stete Vorsicht, als horche eine Instanz, die sehr empfindlich ist; auch die Kümmernis, provinziell zu sein. Bitte kein Nachtisch; eine Dienstreise ist keine Schlemmerreise. Wir haben ziemlich flink gespeist. Auch für mich kein Nachtisch; aber meine Diät ist andrer Art. Was uns beiden gestattet ist: ein Cognac. Es ist erst 22.00, unser Gespräch eigentlich gut, aber Herr Gruner möchte meine Zeit nicht allzulang in Anspruch nehmen, sagt er, obschon ich nochmals versichere, ich habe für den Abend nichts andres vor. Mein Vorschlag: ein Bummel durch Zürich, vielleicht irgendwo noch ein Bier. Aber Herr Gruner bedankt sich noch einmal, dass ich schon so viele Zeit verschenkt habe. Ich will ihn, weiss Gott, zu nichts verführen und bringe ihn zu dem kleinen Hotel beim Bahnhof, ja, auf Wiedersehen in der DDR, ja, von beiden Seiten herzlich. Sein Brief heute: »mit richtig grosser Freude erfahre ich soeben –«
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Ich schraube fünf Garderobenhaken an, damit man endlich die Mäntel aufhängen kann, und es ist eigentlich schon schade. Alle andern Wände sind weiss und leer. Braucht man denn wirklich ein Telefon? Eigentlich froh um die langen Lieferfristen. Noch vorgestern sagten wir: Ich gehe jetzt in die Wohnung. Heute sagen wir: Ich gehe jetzt nachhause. Eigentlich wohnen wir schon. Allerlei Pappschachteln benehmen sich wie Möbel; als stünden sie an ihrem Platz. Bestellt ist, was man für notwendig zu halten gewohnt ist: Büchergestell, eine Couch, ein alter Schrank, später kommt ein bequemer Sessel und irgendwann, wenn 24 wir es finden, ein Sofa und so fort und so weiter, ein kleiner Staubsauger ist schon gekommen.
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Keine Ahnung, wo mein Wagen steht, nirgends zu finden, Landschaft bei Zürich, ich schäme mich zu sagen, dass es ein Jaguar gewesen ist. Ferner: Franz Josef Strauss äusserst liebenswürdig, dann als Schildkröte, und ich habe ihr den kleinen Kopf abgeschlagen, es wird auskommen, Flucht. Unsere Bekannten in Zürich, ihre Miene: Es geschieht ihm recht! Viele Arten einer lächerlichen Verfolgung. Walter Höllerer und jemand, den ich nicht identifizieren kann, der auch nicht länger helfen kann; kein Gericht, jedoch Vorbereitungen zu einer lächerlichen Art von Hinrichtung, wovor wieder nur das Erwachen mich rettet.
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Anfang der Sechzigerjahre, etwas mehr als vor einem Jahrzehnt, fragte Uwe Johnson, damals sehr jung in seiner Lederjacke, bei einem Bier auf einem nächtlichen Platz in Spoleto (Festspiele) unvermittelt unter vier Augen: Herr Frisch, was machen Sie mit Ihrem Ruhm? Nicht duldend, dass ich die Frage für aufsässigen Spott nahm, blieb er aufsässig: Sie sind berühmt, Herr Frisch, ob Sie das wollen oder nicht. Sein Blick liess auch den Irrtum nicht zu, dass es etwa eine Schmeichelei sei. Die Frage war eine blanke Forderung, ich fand nicht einmal heraus, welche Antwort er dabei erwartete; eine offene Forderung. Ich konnte sie nicht beantworten, weiss nicht, ob seine Stimme oder nur seine Miene sagte: Herr Frisch, darüber müssen Sie nachdenken. Seither sind wir uns über Umwege (er verurteilte, so vermute ich, mein Verhalten ge 25 genüber Ingeborg Bachmann als unverantwortlich) näher gekommen, bleiben aber beim Sie, das, in der allgemeinen Duzerei, sich beinahe wie ein Riff ausnimmt; ich finde es schön, nämlich richtig, eine Herzlichkeit, die nie hemdärmlig wird, sogar
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