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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jeder Mann hat seine Muse, denn jeder Beruf ist irgendwie poetisch …«
    Kurowski hatte wenig Sinn für Poesie in dieser Lage. Er sprang auf und wußte doch nicht, was er tun sollte. Die Katastrophe, die er befürchtet hatte, war schneller über ihn gekommen, als er gedacht hatte. Sie wäre zu vermeiden gewesen, aber Kurowski hatte in solchen Dingen keine Erfahrung … es war sein erster Seitensprung, und schon rutschte er aus.
    Noch bevor er etwas sagen konnte, klopfte es wieder. Bleib draußen, hätte er schreien können. Erna, um Himmels willen, bleib draußen! Ich flehe dich an … laß uns später über alles vernünftig reden. Nur bleib jetzt draußen.
    Aber er sagte nichts. Wie nach einer Lähmung ging er zur Tür, Schritt nach Schritt, als habe er gerade wieder laufen gelernt, und als er die Klinke umklammerte, fragte Marion vom Bett:
    »Es kommt noch jemand, Liebling? Warte … ich verschwinde sofort … Das habe ich nicht gewußt.«
    Von außen wurde die Klinke heruntergedrückt. Kurowski hielt sie fest, aber der da auf der Gegenseite drückte, hatte große Kräfte, man konnte die Klinke nicht mehr hochhalten, die Tür schwang auf, und Kurowski starrte in das Gesicht seines ältesten Sohnes. Hinter ihm, aber noch im langen Flur, stand Erna. Traurig, blond, mit weiten blauen Augen.
    »Bleib einen Moment da, Mutter –«, sagte Ludwig. Er drängte Kurowski zurück ins Zimmer, schloß hinter sich die Tür, sah Marion an, die noch immer auf dem Bett lag und ihn sehr interessiert musterte, wandte sich dann um und holte tief Luft. Auch er ist ein Kurowski, dachte Kurowski. Jetzt kommt es heraus. So irrsinnig das jetzt war, – es erfüllte ihn mit Stolz.
    »Mein Junge –«, sagte er zaghaft. Ludwig schwieg. Aber nach einem tiefen Atemholen hob er die Hand und schlug sie seinem Vater mitten ins Gesicht.

17
    Kurowski rührte sich nicht. Was jeder erwartet hatte, auch Ludwig selbst, in demselben Augenblick, als er zuschlug, geschah nicht: Kurowski schlug nicht zurück. Mit hängenden Armen stand er im Zimmer, starrte seinen Sohn mehr entgeistert als in jäher Wut an und zuckte zusammen, als Ludwig, vor Erregung am ganzen Körper bebend, sagte:
    »Warum bist du nicht in Rußland geblieben –« Es war das furchtbarste, was man Kurowski antun konnte. Seit dem Tage, an dem ein sowjetischer Stoßtrupp ihn überrollt hatte und er mit über dem Kopf gefalteten Händen abgeführt wurde und dann Tausende von Kilometern weit in der sibirischen Taiga auf den einen Tag gewartet hatte, wo der Lagerkommandant sagen würde: »Nr. 295197, du kannst die Sachen packen. Du kommst nach Hause. Man hat dich begnadigt, weiß der Teufel, warum, aber es ist so. Morgen früh zur Abschlußuntersuchung vor der Genossin Ärztin!«, in dieser ganzen langen, schrecklichen Zeit hatte er nur eine Sehnsucht gehabt: Erna und meine Kinder. Und wenn ich auf Händen und Füßen von der Taiga nach Deutschland kriechen müßte … ich ging auf die Knie und würde rutschen … Und jetzt sagte sein ältester Sohn, sein Stolz, der zukünftige Arzt, der Junge, der von allen Erna am ähnlichsten ist: Warum bist du nicht in Rußland geblieben … Kurowski drehte sich wortlos weg, ging hinaus auf den Balkon und weinte.
    Ludwig, in einem echten Kurowski-Zorn, riß die Zimmertür wieder auf und prallte gegen seine Mutter, die dicht dahinter stand. Er drehte sie um, schob sie in den Flur zurück und legte dann den Arm um ihre Schulter. »Laß uns gehen, Mutter«, sagte er leise. »Hier hast du keine Worte mehr zu machen. Was zu sagen war, habe ich gesagt – und getan. Komm, Mutter. Ich erzähle es dir unten. Wir werden noch viel darüber zu reden haben …«
    Am Fahrstuhl begegnete ihnen Heinrich Ellerkrug. Er war zurückgeblieben, bewußt, ahnungsvoll. Das ist Familiensache, dachte er. Ich gehöre zwar auch indirekt dazu, aber was sich hier vollzieht, müssen sie ganz unter sich ausmachen. Diese Meinung aber änderte er, als er Ludwig mit hochrotem Kopf heranstampfen sah – jetzt geht er genau wie Paskuleit, dachte Ellerkrug verblüfft – und das Gesicht von Erna sich langsam, ganz langsam in Tränen aufzulösen begann.
    »Was … was ist los?« fragte Ellerkrug. »Kann ich helfen?«
    »Geh in sein Zimmer!«
    Ludwig drückte seine Mutter an sich, stieß die Tür des Lifts auf und verschwand in der Kabine. Ellerkrug wartete, bis sie nach unten wegglitt, machte dann auf dem Absatz eine Kehrtwendung und rannte den Gang entlang. Ohne anzuklopfen riß er die

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