Aus dem Nichts ein neues Leben
nie sagen.
»Kurowski?« sagte sie plötzlich. »Von den Aluminiumwerken?«
»Nicht direkt, wenn wir auch Aluminium als Gelenkstützen in den Schuhen verarbeiten. Kurowski von der ›Westschuh‹. Leverkusen. Aber muß das sein?«
»Nein.«
»Ich bin hierhergekommen, um mich zu erholen. Der Arzt meinte, es sei nötig. Ich habe ihm den Gefallen getan, – wenn man Ärzten widerspricht, werden sie gleich unangenehm und reden von Särgen! Aber was ich heute abend als Essen bekommen habe, sieht nicht so aus, als wenn ich mich dabei erhole.«
»Das war noch fürstlich! Morgen früh gibt's eine Tasse Brühe, die nach Kräutern duftet. Aus!«
»Meine Güte! Und das halten Sie aus?«
»Schon seit elf Tagen.«
»Und kratzen nicht vor Hunger die Tapeten von den Wänden?«
»Sehe ich so aus?«
Das war eine Frage, zu der Kurowski allerhand zu sagen hatte. Aber gerade in solchen Situationen fehlen einem die Worte, man ist ja kein geborener Playboy, hat zeit seines Lebens nur Schuhe besohlt und Schuhe verkauft und hat sich aus dem Dreck emporgekrabbelt. Wie soll man Worte finden, die eine solch schöne Frau beschreiben.
»Wenn ich nach elf Tagen so aussehe wie Sie«, – sagte Kurowski – »natürlich auf männlich umgesetzt –, pilgere ich nach Rom und stelle mich dem Papst als Wunder vor.«
Marion Hellbaum lachte wieder, tief, aus geheimnisvollen Abgründen, vor denen die schöne Barriere ihrer Brüste lag. Kurowski war stolz. Er schien etwas Gutes gesagt zu haben … die Bekanntschaft war geschlossen. Die nächste Frage war nur natürlich: »Wie lange bleiben Sie noch in Bad Neuenahr?«
»Noch zwei Wochen. Und Sie, Herr Kurowski?«
»Drei Wochen! Bei dem angedrohten Essen sind das drei Jahre! Aber eins weiß ich jetzt schon ganz sicher: Zwei Wochen halte ich durch, und wenn ich nur Gras essen müßte!«
»Danke –«, sagte Marion Hellbaum und legte ihre Hand auf Kurowskis Unterarm. Es durchzuckte ihn wie elektrische Schläge.
»Wofür?« fragte er.
»Das war ein schönes Kompliment …«
Kurowski war verblüfft, dann wich die Verblüffung einer Verwirrtheit. So geht das also, dachte er. Das war mein erstes Kompliment. Damals, bei Erna hatte er nur gesagt: »Marjellchen, du jefällst mir« –, und die Sache war klar. Seitdem hatte er keine andere Frau mehr angeguckt. Erna war seine ganze runde Welt geworden. Ein Leben ohne Erna war undenkbar geworden. Aber jetzt plötzlich gab es auch etwas anderes, mit dem Kurowski zum erstenmal konfrontiert wurde: Das Abenteuer mit einer Frau. Es war ein neues, den ganzen Körper wie Feuer durchrinnendes Gefühl. Kurowski gab sich keine Mühe, dagegen anzukämpfen, – es war von Beginn an ein sinnloser Kampf.
An diesem Abend gingen sie durch den Park spazieren. Kurowski erzählte von Adamsverdruß und Leverkusen, seiner Ladenkette und aus dem Krieg. Er erzählte von allem … nur nicht von Erna und den Kindern. Und auch Marion Hellbaum fragte nicht: »Sie sind verheiratet? Sie haben auch Kinder?« Man übersah auf beiden Seiten dieses Thema, und Kurowski fand, daß man auf dieser Basis zwei Wochen Urlaub, selbst mit der magersten Magerverpflegung, durchstehen könnte.
Zurück auf seinem Zimmer – Marion wohnte unter ihm, schräg links, Zimmer 18 – wanderte Kurowski unruhig hin und her, trat auf den Balkon, schöpfte tief Luft, schielte nach links (Marion hatte auch noch das Licht an), ging zurück ins Zimmer, trank Wasser aus dem Wasserhahn (Bier war verboten), setzte sich dann an den Tisch und schrieb eine Ansichtskarte an Erna und die Kinder.
»Der erste Tag ist vorüber. Wenn Ihr wüßtet, was ich hier zu essen bekomme, würdet Ihr alle weinen. Aber ich halte durch! Wie sagt Kurowski: ›Wir lassen uns nicht unterkriegen!‹ Auch hier nicht. An alle einen Kuß. Euer Vater.« Er las die Karte noch einmal durch und blieb an seinem Wahlspruch hängen.
»Ich glaube, der geht zum erstenmal schief –«, sagte er ahnungsvoll. »Meine Ahnen kannten keine Marion Hellbaum –«
Nach vier Tagen duzten sie sich, am fünften küßten sie sich … es hatte länger gedauert, als Kurowski zuerst angenommen hatte. Aber als er Marion zum erstenmal an sich zog und küßte, wußte er, daß verdammte Probleme damit aufgerissen wurden. Der erste Schritt zu einem Betrug an Erna war gegangen, – was jetzt folgen mußte, konnte er noch abbremsen, aber er wollte es nicht. Er versuchte, sich heimlich vor sich zu rechtfertigen, zählte die im Krieg verlorenen Jahre auf, die
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