Aus dem Nichts ein neues Leben
Gefangenschaft … aber das alles war kein Grund, Erna jetzt zu vergessen, und wenn's auch nur für noch neun Tage war. Blieb es bei diesen neun Tagen? Marion Hellbaum wohnte in Wesel. Von Leverkusen nach Wesel war keine Entfernung, die schnurrte der Mercedes in kurzer Zeit weg, und wenn das auch nach Bad Neuenahr mit Marion weiterging, und es würde weitergehen, das wußte Kurowski schon heute, denn eine solche Frau gibt man nicht wieder her, dann kam über die Familie Kurowski eine böse Zeit.
An diesem Abend, nach dem Essen, machte sich Kurowski bereit, zu Marion aus Zimmer 18 zu gehen. Er badete und rasierte sich noch einmal, besprühte sich mit einem Herrenparfüm, das er gestern gekauft hatte, betrachtete sich im Spiegel und fand, daß er eigentlich so übel gar nicht aussah, etwas dicklich (aber das wollte man ja hier wegradieren), helle, klare Augen und ein gutmütiges Gesicht. Das war eine Täuschung, denn auch Opa Jochen hatte ein gutmütiges Gesicht gehabt, wie überhaupt die ganzen Kurowskis, aber wenn sie losbrüllten, begann das schalste Bier im Glas wieder zu schäumen.
An diesem Abend rief Franz Busko an. »Na, wie geht's denn, Meester?«
»Gut –«, knurrte Kurowski. Er war einsilbig geworden. Verdammt, es ist gar nicht so leicht, Erna zu betrügen, dachte er. Ich werde mir einen antrinken. Aber woher nehmen? Von Gemüsesaft ist noch keiner blau geworden.
»Wie ist das Essen?«
»Das sollte man euch im Bundestag als Pflichtessen vorsetzen!«
»Und sonst?«
»Was sonst?« bellte Kurowski.
»Sie wissen schon, Meester … Sonst …«
»Ich will mich erholen und abnehmen!« brüllte Kurowski. »Und überhaupt – warum hat mir nie einer gesagt, daß ein Kuraufenthalt für mich so nötig ist?!« Das war eine Bemerkung, die ein grober Fehler war. Busko, an parlamentarischen Spitzfindigkeiten trainiert, hörte heraus, was sich da in Bad Neuenahr tat. Er rief sofort Heinrich Ellerkrug an und sagte: »Heinrich, auch wennste schon im Bett liegen solltest, – fahr mal nach Neuenahr. Der Meester ist auf der Balz. Ja, was ich dir sage! Ich hab so 'was geahnt! Nee, nicht mehr heute … morgen jenügt. Und nimm die Meesterin mit … aber ohne die Kinder. Ick hätte auch in Neuenahr bleiben sollen. Imma die Weiber …«
Ellerkrug warf den Hörer zurück. Busko hatte gut reden … seit er im Bundestag saß, hatte er ein Verhältnis mit einer Sekretärin und kaufte – er war ja auch noch Direktor der ›Westschuh‹ – Pelze und Schmuck. Er hatte für sie ein Appartement in Godesberg gemietet und plante, seinen Urlaub im Winter in Davos zu verbringen. In dieser Nacht schlief Ellerkrug nicht wieder ein. Er mußte an Erna denken und an ihre unzerbrechliche Treue zu Ewald.
Auch Kurowski schlief nicht ein. Er lag in Zimmer 18 neben Marion auf dem Bett, hatte seine rechte Hand auf ihren herrlichen, nackten Leib gelegt, starrte an die Decke und dachte: Es war schön … aber, Kurowski, du bist ein Schwein …
Ellerkrug kam sich verdammt elend vor, als er in Leverkusen unverhofft eintraf und Erna den Vorschlag machte, Ewald in Bad Neuenahr zu besuchen. Ganz überraschend. Das heißt, – so überraschend sollte es wieder auch nicht sein, es sollte zu keiner Tragödie kommen, und Busko hatte es übernommen, Kurowski vorher telefonisch zu warnen. Wie allerdings Kurowski darauf reagieren würde, wußte niemand. Wenn ein Mann durch seinen zweiten Frühling wandelt, hört er kein Sturmblasen mehr und spürt keinen Regen. Er riecht nur Blüten. Bei Kurowski mußten es ganze Blumenfelder sein … dafür war er ein Kurowski!
»Solche Überraschungen mag er gar nicht«, sagte Erna. Sie sah dabei Ellerkrug nicht an, und er hatte den Eindruck, daß sie irgend etwas ahnte. Bisher hatte Kurowski zwei Karten geschrieben mit geradezu dummen Sätzen. Hier scheint die Sonne, mir geht's gut, ich habe drei Pfund abgenommen, wie geht es euch? Schreibt solche Karten ein Mann, der zum erstenmal in seinem Leben auf Kur gefahren ist?
»Eben deshalb fahren wir hin!« sagte Ellerkrug gepreßt.
»Er wird sich ärgern, Heinrich.«
»Wer ärgert sich, wenn seine Frau ihn besuchen kommt?«
»Ohne die Kinder?«
»Ohne. Nur du!«
Erna sah ihn lange an. Sie schwiegen beide, und es war auch nicht nötig, jetzt noch etwas zu sagen. Ellerkrug kaute an der Unterlippe. Er war noch immer in Erna verliebt, und wie sie so dasaß, in einem modernen Sommerkleid, die blonden Haare in weiche Lockenwellen gelegt, gütig, mütterlich, ein Stück
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