Aus dem Überall
die Bänder mit seiner Stimme hören und so weiter. Natürlich war er wahrscheinlich nicht wirklich der letzte Mann, sondern nur der letzte, von dem man wußte. Es wäre schön, mal eine ganz andere Stimme zu hören.
Tapp-tapp-tapp – es wird lauter, ist näher, als vorhin noch. Sie werden lästig. Hoffentlich folgen sie ihr nicht die Auffahrt hinauf und schnüffeln in ihrem Frühstück herum.
»Buh!« ruft sie und lacht, während sie sich umdreht. Sie verstreuen sich so schnell, daß sie kaum noch die dunklen Körper in den alten Mauern verschwinden sieht. »Buh!« ruft sie noch einmal. Es tut ihr leid, daß sie sie verscheuchen muß. Dann dreht sie sich um und geht zufrieden weiter.
Die Gebäude am Straßenrand sind hier noch gut erhalten, kein Glas auf der Straße. Die Schaufensterscheiben der alten Geschäfte sind intakt. Sie sieht sie im Gehen neugierig an. Haufen von verschimmeltem Zeugs, verblichene Bilder und Schrift. »Reklame.« Viele Gesichter von Schwestern; sie sehen alle seltsam aus und lachen gekünstelt. In einem Fenster sind lauter Plastikköpfe mit seltsamem, künstlichem Haar oder so. Phantastisch.
– Aber jetzt sind sie schon wieder hinter ihr. Tapp-tapptapp. Sie muß sie gründlich entmutigen, ehe sie ihr die Auffahrt hinauf folgen.
»Buh! Buh! Nein …« Als sie sich zu ihnen umdreht, springt etwas Dunkles auf sie los und schlägt oder schnappt ihren Arm. Und bevor sie reagieren kann, sieht sie, daß sie plötzlich um sie stehen, sogar vor ihr – und sie sind so groß wie Menschen!
»Haut ab!« ruft sie und spürt etwas Unbekanntes – Wut? – , das sie erhitzt. Fast wie in einem dieser Träume! Aber etwas Hartes schlägt in ihren Nacken, und sie taumelt. In ihren Ohren brüllt etwas.
Sie rutscht aus und stürzt auf den Beton. Es schmerzt – ihr Kopf ist verletzt. Sie schlägt um sich und versucht, sie abzuwehren und erkennt ungläubig, daß die Biester an ihr zerren. Sie sind schrecklich stark. Sie zerren ihr die Arme und Beine auseinander und halten sie fest.
»Schwestern!« ruft sie. Jetzt ist sie wirklich verletzt und wehrt sich mit aller Kraft. »Schwestern! Hilfe!« Aber etwas knebelt sie, so daß sie nur noch keuchen kann. Jetzt reißen sie an ihren Kleidern, an ihrem Bauch. Nein, nein – sie begreift voller Angst, daß sie sie wirklich beißen wollen. Sie wollen ihr Fleisch fressen, und plötzlich erinnert sie sich, daß wilde Hunde ihren Opfern zuerst die Eingeweide herausreißen.
Die Wut fährt wie eine Woge durch sie, und sie windet sich unter den Fängen. Sie weiß, daß es nur ein dummer Unfall ist, ein Irrtum – aber überall sprudelt ihr Blut, und die Schmerzen, die Schmerzen! Sie wird gleich tot sein, sie weiß, daß sie hier sterben wird.
Aber als ein wirklich gräßlicher Schmerz tief in ihren Schoß und ihre Eingeweide fährt, sieht oder glaubt sie zu sehen – Ja! – dort im Licht, in den Flecken des Himmels, die sie zwischen den schrecklichen Körpern ihrer Angreifer sieht, dort kommen sie – noch weit entfernt, aber klar, die wundervollen Gesichter ihrer Schwestern, die herbeieilen, um sie zu retten, um sie zu rächen! Oh, meine Schwestern, ja jetzt wird alles gut. Sie weiß es, während sie an ihrem Blut erstickt. Die Schwestern werden diese Tiere töten. Und mein Rucksack, meine Nachrichten – irgendwo hinter den Schmerzen und dem Sterben weiß sie, daß alles gut ist. Alles wird gut werden, wenn sie kommen; die geliebten Schwestern werden sie retten, dies ist nur ein Unfall – und bald wird sie oder jemand wie sie wieder losgehen, zu Fuß über die weite, freie Erde, als Kurier nach Des Moines und in den Westen …
Originaltitel: »Your Faces, O My Sisters! Your Faces Filled of Light!«
Copyright © 1976 by Alice B. Sheldon
(erstmals erschienen in »Aurora: Beyond Equality«,
hrsg. von Vonda N. McIntyre & Susan Anderson, Fawcett 1976)
Copyright © 1989 der deutschen Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski
Die Goldfliegen-Lösung
(THE SCREWFLY SOLUTION)
Der junge Mann, der auf 2° N, 75° W saß, blickte giftig zum kaputten ventilador hinauf, wie er es schon öfter getan hatte, und las den Brief weiter. Er schwitzte stark und saß, bis auf die Unterhose entkleidet, in einem Schwitzkasten, der vorgab, ein Hotelzimmer in Cuyapán zu sein.
Wie kommen nur andere Frauen damit zurecht? Ich hab den ganzen Tag mit den Stipendien und dem Seminar zu tun und sage
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