Aus den Papieren eines Wärters
an, die Menschen zu haßen, weil ich sie verachten lernte. Sie waren verschlossen und für sich, wie die Stadt, in der sie lebten. Nur selten gelang es, ein kurzes und hastendes Gespräch über gleichgültige Dinge mit ihnen anzuknüpfen, und auch dann wichen sie aus. Es war unmöglich, in ihre Häuser zu dringen. Doch gab ich die Jagd nach ihren Geheimnissen erst auf, als ich erkannte, daß sie keine hatten.
Sie ließen sich ohne Ideale zu Millionen in die rauchenden Fabriken treiben, in die nüchternen Betriebe und an die endlosen Reihen der Arbeitstische. Es gab nichts, das sie verschönte und ihren Anblick milderte. Die Stadt bot sie gleichsam nackt meinem Blicke dar. Oft stand ich an den Mittagen auf den gewaltigen Plätzen, wenn die Arbeitsheere angeschwemmt kamen, Schwärme von Radfahrern, die blauen, abgenutzten Gefässe der Straßenbahnen ebenso überladen wie die rostigen Omnibusse, an denen die Farbe abblätterte. Aus den schwarzen Mündern der Metro wurden in regelmäßigen Abständen riesige Schübe von Fußgängern ausgestoßen. Privatwagen gab es keine mehr, nur hin und wieder glitt schweigend ein Wagen mit Polizisten vorüber, auch der war unscheinbar und veraltet.
So schaute ich denn auf die rollenden Wogen des Alltags, die unabläßig immer neue Gesichter heranwälzten, alle müde, alle grau, alle schmutzig. Ich blickte auf die gekrümmten Rücken und auf die schäbigen Kleider, auf die zerschundenen Hände, die eben noch einen Hebel umklammert hatten und sich jetzt um eine Lenkstange schlossen. Die Luft war von ihrem Schweiß verpestet. Eine sinnlose Masse nahm mich in ihre Mitte, die nichts als vegetieren wollte und in eine stampfende Maschine eingebaut war, deren Räder ohne Unterbruch liefen, die Stunden, die Tage, die Jahre hindurch, zeitlos und undurchsichtig. Ich sah die Frauen, die unelegant und hilflos waren, an irgendeinen ewig mürrischen, ewig betrunkenen Mann gekoppelt, die Mädchen, ohne Schmuck und ohne Grazie, bald einem lächerlichen Traum von Liebe verfallen, 110
bald zerstört und die Augen ohne Hoffnung. So eilten sie wie gehetzte Tiere nach ihren Höhlen, in die schmutzigen Pensio-nen und in die dunklen, windigen Kammern unter den halbge-borstenen Firsten. Ich las in den Falten der Gesichter ihre alltäglichen und trostlosen Schicksale, ich erriet ihre Wünsche, die sich um die banalen Dinge ihres Lebens drehten, um ein mageres Stück Fleisch, das sie daheim im Blechteller hofften, um den Schoß eines verblühten Weibes, das sich dumpf hingab, um ein abgegriffenes Buch aus der Leihbibliothek, um eine Stunde wirren Schlafs, verkrampft auf einem zerschlißenen Kanapee, um das karge Gedeihen eines kleinen Schreber-gartens. Ich spürte an den Sonntagen ihren Vergnügungen nach. Ich stand auf den Fußballplätzen, eingeklemmt in ihre Unzahl, verschlungen von ihrer Häßlichkeit, und hörte ihr Schreien und Toben. Dann begab ich mich zu den großen Parkanlagen, die in die Stadt gesprengt sind. Ich sah die Züge der Familien, die stumpf und brav im Gänsemarsch daherka-men, Familienväter, die sich nach einem dünnen Bier sehnten, in diesen Wüsten der Arbeit ihr einziges Glück. Ich stieg hinab in ihre Nächte. Die brüllenden Gesänge der Betrunkenen vermischten sich mit dem Rot der Sterne, die am Horizont wie Fackeln aufglommen. Ich sah die Liebespaare in den dreckigen Höfen und auf den faulenden Bänken am Fluß, die sich ineinander flüchteten, eins am anderen scheiternd, eins das andere umklammernd. Ich sah die Dirnen, die sich für eine Kupfermünze verkauften, schritt unter den grünen Reklamen der billigen Kinos hindurch. Mein Ohr vernahm das ewig eintöni-ge Geleier der Rummelplätze. Dann flammten wilde Flüche auf. Ich sah das weiße Blitzen der Messer, schwarzes Blut, das vor meine Füße schwemmte. Wagen heulten heran, aus denen dunkle Gestalten sprangen, in die wütenden Knäuel der Leiber tauchten und sie auseinandersprengten. Ich verließ die Straßen und suchte die öffentlichen Gebäude auf. Ich fand jene, die sich in die Wissenschaften flüchteten, ich war in ihren ver-111
staubten Laboratorien und in ihren Lesesälen, ich sah, wie sie einem Phantom nachjagten, um nicht die Wirklichkeit dieser Welt zu schmecken. Ich besuchte die Ateliers der Künstler und wandte mich mit Abscheu von ihnen, wie ich malten sie ohnmächtig ihre Träume nieder. Die Dichter und Musiker glichen Gespenstern aus längst untergegangenen Zeiten. Ich betrat die zerfallenen Kathedralen
Weitere Kostenlose Bücher