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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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einmal neben Ihnen auf dem Fußballplatz.«
    »Sie wohnen im Parterre der Mietskaserne, eine Straße von mir?« fragte ich gespannt.
    »Gewiß. Die Verwaltung weist einem jeden von uns Fälle zu, die er auch persönlich zu überblicken vermag«, sagte der Beamte. Sein Gesicht lag im Licht und meines im Schatten, auch hier hatte ich den Vorteil, ich konnte ihn beobachten, ohne daß er es bemerkte. Sein Antlitz war leidenschaftslos und fast ohne Ausdruck, die Augen, die Nase, der Mund, die Stirne, all dies war wie geometrisch konstruiert.

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    »Die Verwaltung will mich einteilen«, sagte ich. »Wollen Sie mir sagen, was dies bedeutet?«
    »Wir müssen doch eine Beschäftigung für Sie suchen«, entgegnete er und hob nur wenig die überdeutlich gezeichneten Augenlider. »Wir müssen doch etwas für Sie tun.«
    »Es genügt mir, wie ich lebe«, log ich.
    »Wenn Sie so weiterleben wollen, dürfen Sie das natürlich.
    Die Suppenanstalt steht Ihnen jederzeit offen, das Zimmer steht Ihnen immer zur Verfügung. Sie sind frei. Dennoch bitte ich Sie, die Vorschläge der Verwaltung anzuhören und dann Ihren Entschluß zu fassen. Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«
    »Die Verwaltung ist großzügig«, sagte ich und zündete mir die Zigarette an, eine jener Art, die wir alle rauchen. Ich spürte, daß er mit dieser Geste Zeit gewinnen wollte. »Nun«, fuhr ich fort, indem ich den Rauch durch die Nase blies, »was haben Sie mir zu bieten?«
    »Eine Stelle als Fabrikarbeiter, eine Stelle im Kleinhand-werk, eine Stelle als Gärtner in unseren landwirtschaftlichen Betrieben, eine Stelle in den Magazinen der Konsume und eine in der Kehrichtabfuhr«, entgegnete der Beamte.
    »Die noch nicht ganz auf der Höhe ist«, warf ich ein.
    »Erst jetzt kommen wir dazu, die Kehrichtabfuhr zu entwik-keln«, sagte er. »Wir müssen jetzt unsere Vorschläge miteinander besprechen. Sie werden Ihre Wünsche haben.«
    »Sie meinen, ich soll einer von denen werden«, antwortete ich, indem ich den Kopf ein wenig nach der Türe bewegte, und lehnte mich in meinen Sessel zurück.
    »Ich denke, es ist das Beste für Sie.«
    »Danke«, sagte ich, »mein Leben genügt mir. Ich werde auf mein Zimmer zurückkehren.« Ich sagte diese Worte gleichgültig und schaute kaltblütig nach dem Beamten, über den ich eben das Todesurteil gesprochen hatte, denn ich war fest entschlossen, den Mord zu begehen. In dieser Welt hatte nur 117

    noch das Verbrechen einen Sinn. Der Beamte, der, ohne es zu wissen, um sein Leben kämpfte, hob ruhig ein Blatt vor seine Augen und sagte:
    »Sie denken sehr unfreundlich von unserer Stadt, und besonders von dem, was Sie Masse nennen, haben Sie eine schlechte Meinung. Sie sind unzufrieden mit Ihrer gegenwärtigen Lage.«
    »Wie kommen Sie darauf?« fragte ich, mißtrauisch geworden. Der Beamte legte das Blatt wieder in die Mappe zurück und sah mich an. Ich begriff plötzlich, daß dieser noch jüngere Mann vor mir in seinem weißen Leinenkittel und mit seiner fehlenden Krawatte müde war, wie nach einer jahrelangen ununterbrochenen Arbeit des Geistes, und daß eine unaufhörliche Anspannung die geometrischen Linien seines Gesichts zeichnete. Ich erkannte jedoch gleichzeitig, daß ein überwa-cher, exakter Verstand hinter dieser Stirne herrschte und sein Blick von einer unbestechlichen Beobachtungsgabe geschärft war. Solche Menschen sind gefährlich. Ich beschloß, auf der Hut zu sein.
    »Ich habe einige Ihrer Schriften gelesen«, sagte nun der Beamte und wandte seinen Blick nicht von mir ab. Das entscheidende Wort war gefallen. Wir fixierten uns und schwiegen minutenlang. Draußen im Hofe ertönte plötzlich Kinderge-lächter.
    »Das Lachen der Kinder«, sagte der Beamte, »haben Sie in dieser Stadt auch nie bemerkt.« Seine Stimme klang bitter.
    »Gehören meine Schriften zu jenen Fällen, in denen die Wärter eingreifen dürfen?« fragte ich, von einem bestimmten Verdacht erfaßt.
    »Die Aussagen des Geistes dürfen unter keinen Umständen bestraft werden, auch wenn sie der Auffassung der Verwaltung zuwiderlaufen«, antwortete er bestimmt.
    »Die Beamten, die in mein Zimmer gekommen sind, um es zu vermessen, waren Spione, nicht wahr?« fragte ich höhnisch und machte es mir in meinem Lehnstuhl immer bequemer.

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    »Wir sind über die Art, wie Sie leben und über die Ansich-ten, die dieses Leben bewirken, beunruhigt und wünschen Ihnen zu helfen«, entgegnete er, ohne auf meine Frage einzugehen, doch gab er sich gerade so

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