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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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schrecklicheren Waffen, aber auch die Möglichkeit, die Natur technisch zu bezwingen, wurden zu groß. Der Friede kam, aber nicht als Paradies, nicht 123

    als ein Zustand, der die Wünsche aller erfüllt, sondern als die letzte Chance, nicht zugrunde zu gehen, als ein harter Arbeitstag – von der Notwendigkeit erpreßt, der das Notwendig-ste für eine noch ständig wachsende Menschheit schaffen muß, der nicht an Luxus denkt, sondern an Kleider und Nahrung, an Medikamente und an die Weiterentwicklung der Wissenschaft, als eine unbarmherzige Forderung, die uns in die Fabriken treibt, in die Magazine, in die mechanisierten Betriebe der Landwirtschaft und in die halbzerstörten Bergwerke. Es ist bitter, daß die Verwaltung dies, offenbar vergeblich, immer wieder feststellen muß.«
    »Es ist bitter«, entgegnete ich spöttisch, »daß die Leistungen der Verwaltung – sie sei gelobt« (ich verneigte mich sehr übertrieben) » – daß diese Leistungen, die niemand bezweifelt, uns offenbar nicht genügen. Bitte, der Anblick der mißvergnügten Massen, die sich durch die Straßen dieser Stadt wälzen, steht dem Herrn jederzeit zur Verfügung. Wir haben Brot, gewiß. Die Bäuche sind, wenn auch nicht voll, so doch nicht leer, die Prostitution dem Klima angemessen. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein.«
    Er sah mich prüfend an, doch antwortete er nicht.
    »Was haben wir denn, außer unserem Brot und unserem Dach über dem Kopf? Von der Qualität dieser Dinge will ich ja nicht reden. Sehen wir zu. Uns ist alles genommen, was uns zu verwandeln vermochte, was uns aus einer bloßen grauen Vielzahl zu einem Organismus machte, auch wenn dieser Organismus reichlich stumpfsinnig war«, sagte ich, ohne den Beamten, den ich endlich gestellt hatte, aus den Augen zu lassen. »Wir haben kein Vaterland mehr, das uns begeistert, das uns Größe, Ehre und einen Sinn gibt, keine Parteien – Sie sehen, ich verlange immer weniger –, die uns mit ihren Ver-sprechungen und ihren Idealen in Schwung versetzen, ja, nicht einmal das Erbärmlichste, einen Krieg, der uns zusammen-schweißt und den es zu bestehen gilt, keine Helden, die wir 124

    bewundern können, und die Kirchen« – ich lachte – »sind bedeutungslose Privatvergnügungen geworden.«
    Er schwieg noch immer.
    »Das sind alles überschätzte Dinge, das Vaterland, die Parteien, die Kirchen und die Kriege. Zugegeben. Aber es sind Dinge«, sagte ich. »Was haben Sie uns dafür gegeben? Wenn man eine Ware hergibt, will man auch etwas dafür erhalten!«
    »Nichts«, sagte der Beamte.
    »Dann haben wir ein schlechtes Geschäft gemacht«, stellte ich fest. »Wir haben nichts mehr als unsere eintönigen Vergnügungen, unser Bier, unsere Dirnen, unsere Fußballplätze und Sonntagsspaziergänge.«
    »Wir haben nur das«, sagte der Beamte.
    »Und in dieses graue Meer des Alltags soll ich nun springen?« fragte ich. »Nicht wahr, das wollen Sie doch sagen?«
    Der Beamte schwieg und sah mich an. Es war totenstill.
    Endlich stand er auf. Er bot mir eine zweite Zigarette an und antwortete, während sein Gesicht unbarmherzig wie ein Stein wurde: »Diesen Sprung sollen Sie wagen.«
    Die Ungeheuerlichkeit, ein solches Leben auf mich zu nehmen, die mir der Beamte nun schon zum zweiten Male zumu-tete, ließ in mir wieder den Verdacht aufkommen, die Verwaltung werde mich zu diesem Schritt zwingen, wenn ich ab-schlage. Was mich noch in meiner Vermutung bestärkte, war die Sorglosigkeit, mit der der Beamte alles zugab, dies nicht wie einer, der jemanden zu überreden trachtete, sondern wie einer, der die Mittel besaß, seinen Willen durchzuführen.
    »Sie können mich nicht zwingen«, sagte ich ruhig, doch auf seine Antwort gespannt und in der Hoffnung, seine Geduld erschöpft zu finden.
    »Nein«, sagte er. »Das habe ich Ihnen schon gesagt.«
    »Die Verwaltung will also nur mit mir reden«, sagte ich.
    »Das verwundert mich, um ganz offen zu sein. Eine Verwaltung hat doch gewiß anderes zu tun, als mit einem armen 125

    Teufel Gespräche zu führen. Eine Verwaltung muß Anordnungen treffen und die Mittel haben, sie auch durchzuführen. Eine gewaltlose Verwaltung gibt es nicht. Ich bitte Sie, mir zu sagen, was diese Vorladung eigentlich bedeuten soll.«
    Ich sah, daß er verlegen wurde.
    »Die Verwaltung hat Ihnen einen Vorschlag zu machen«, erklärte er endlich gewunden. »Sie hat Ihnen nach den Be-stimmungen, denen sie unterstellt ist, etwas anzubieten, was sie sehr ungern anbietet, und

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