Aus den Papieren eines Wärters
ist ein Schiedsgericht, sonst nichts.« (Er machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand.) »Sie kann nicht einmal einteilen. Es steht jedem Einzelnen frei, zu entscheiden, welcher Partei er angehören möchte, ob er ein Gefangener sein will oder ein Wärter. Auch Sie können wählen. Ihre Wahl muß von der Verwaltung angenommen werden.« Dies alles sprach er schnell und gleichgültig.
»Worin besteht die Macht eines Wärters?« fragte ich immer noch mißtrauisch.
»Worin jede Macht besteht«, antwortete er. »In der Macht über Menschen.«
»Über welche Menschen?« forschte ich weiter.
»Über Menschen, die Ihnen ausgeliefert werden«, antwortete der Beamte undurchsichtig. »Was sich im Gebiet der Wärter ereignet, geht die Verwaltung nichts an. Sie steigen in ein Reich unermeßlicher Macht hinunter, wenn Sie annehmen. Die Macht der Wärter ist vollkommen.«
»Werde ich am tibetanischen Krieg mitmachen?« fragte ich.
»Ich bin im Gebirgskrieg erfahren. Es wird auch der Verwaltung daran gelegen sein, dort zu gewinnen. «
Er zuckte die Achseln: »Sie einzusetzen wird Sache der Offiziere sein.«
»Wo soll ich mich melden?« fragte ich entschlossen.
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»Sie sind bereit, das Angebot anzunehmen?« antwortete er nach kurzem Zögern.
»Ich wähle den Beruf eines Wärters«, sagte ich.
Der Beamte «ah mich an. Er hatte sich wieder vollkommen in der Gewalt. »Gut«, sagte er, »hier ist die Adresse«, und reichte mir einen Zettel, ähnlich jenem, der vor meiner Türe gelegen hatte. »Gehen Sie hin, wann Sie wollen. Ich bedaure Ihre Wahl. Doch ist Ihnen dies wohl gleichgültig.«
»Vollkommen«, entgegnete ich.
Er stand auf. Auch ich erhob mich. Sorgfältig schloß er die Mappe mit meinen Papieren zu. Dann schritten wir zur Türe, die er öffnete. Da legte er mir ganz unvermutet noch einmal die Hand auf meine linke Schulter.
»Sie gehen«, sagte er. »Sie haben das Angebot der Macht angenommen. Wieder einmal habe ich verloren. Sie gehören nun zu den Wärtern, bei denen wir nichts zu suchen haben. Ich bin hilflos, Sie wissen es. Ich kann Ihnen nur eines mitgeben, die Versicherung, daß Sie jederzeit den Dienst bei den Wärtern einstellen können. Freiwillig treten Sie ein, freiwillig können Sie wieder austreten. Die Türe ist offen. Noch verstehen Sie dieses Wort nicht, aber einmal werden Sie es verstehen: Die Türe ist offen. Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, meinen Worten zu glauben. Ihr Glück wird davon abhängen, ob Sie meinen Worten Glauben schenken, bedingungslosen Glauben, oder ob Sie mir mißtrauen. Ich habe Ihnen nun nichts mehr zu sagen.«
Ich lachte und ließ den merkwürdigen Kerl auf der Schwelle seines Zimmers stehen. Ich hatte gesiegt und er sein Leben gerettet.
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2
Man wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich mich meiner Aufnahme in den Stand der Wärter, die am folgenden Tage stattfand, nur unvollkommen erinnere oder, wie ich zugebe, nur unvollkommen erinnern will, um nur das wiederzugeben, was die historische Wahrhaftigkeit verlangt. Obgleich ich in der Art und Weise, wie die Aufnahme erfolgt, nicht wie viele Kameraden eine bewußte Demütigung zu sehen vermag, so ist sie doch befremdlich und nur durch die Nachlässigkeit zu erklären, mit der die Verwaltung alle förmlichen Angelegen-heiten vornimmt: Daraus nun den Schluß zu ziehen, sie wisse unseren Stand nicht zu schätzen, ist absurd, hat sie doch vor allem ihn nötig. Ich halte es daher für am besten und der Disziplin, die wir geschworen haben, am entsprechendsten, den Mangel an Form bei der Verwaltung ein für allemal als eine Tatsache hinzunehmen, die nicht zu ändern ist – am wenigsten von uns, die wir für Ordnung zu sorgen haben –, und auch gelassen zu übergehen, daß sie die denkbar ungeeig-netsten Personen für einen uns Wärtern wichtigen Schritt auswählt.
Das Haus, dessen Adresse mir der Beamte übergeben hatte, befand sich in einer Vorstadt, die ich noch selten betreten, die unübersichtlich war, obgleich sie äußerst regelmäßig geplant worden sein mußte. Doch hatte der Umstand, daß man sie mit kleinen Arbeiterhäuschen bebaute, die alle einander gleichsahen – hochgiebelige rote Backsteinbauten – und auch die gleichen kleinen Gärten besaßen, die geplante Übersicht wieder gestört. Das Haus stand in einer schnurgeraden Straße, an einer Omnibushaltestelle, wie ich mich genau erinnere. Es war ebenfalls ein Arbeiterhäuschen mit zwei Birken an der Gartentüre, auch hier unterschied es sich nicht
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