Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
rotzfrech.
Bei der Beerdigung waren angeblich drei Mann von der Kripo dabei. Die waren da verteilt und haben sozusagen ihre Eindrücke gesammelt. Die haben uns aber nicht angesprochen oder so. Einige Bilder, die ein Freund von uns auf dem Friedhof gemacht hat, haben die später mitgenommen und da Personen raus vergrößert.
Egal wo du guckst, Thomas steht auf den Bildern immer in unserer Nähe. Ich kann mich an jede Minute der Beerdigung erinnern. Das ist ja etwas, was die mir auch noch ankreiden: mein minutiöses Gedächtnis. Da hab ich gesagt: »Tut mir leid.« Wir sind in die Kapelle reingegangen und da stand nun dieser weiße Sarg da. Und unser Sohn, der war damals sechzehn Jahre alt, geht auf diesen Sarg zu und dreht sich auf einmal um und rennt wieder raus. Da ging natürlich gleich richtig die Post ab.
Nachdem die Vernehmungen anfingen, war einer unserer Söhne fast jeden Tag da. Er war also von Anfang an informiert. Später kam er jede Woche und dann so alle zwei, drei Wochen mal, so nach dem Motto »Was gibt’s Neues?«.
Wir hatten so einen Tisch mit Melanies Sachen drauf und auch mit Kerze und so, und da hab ich damals schon gesagt: Also so ein extremer Wechsel, das hab ich im Leben noch nie erlebt. Ich nenn’ den nur noch Jekyll und Hyde.
Er kam ganz natürlich rein, alles wunderbar, alles prima. Er fragte: »Und wie sieht’s aus, was machen die Ermittlungen?« Wir haben uns da nichts bei gedacht, wer denkt denn so was? Gut, da gab es Vermutungen, es passte vieles oder auch vieles nicht. Wie zum Beispiel: »Warum steht er auf den Fotos immer neben dir?« Eines Tages steht er an diesem Tisch und fängt an zu heulen, Rotz und Wasser. Dann geht er zum Fenster, dreht sich um und lachtdrüber. Also so was Extremes hab ich in meinem Leben noch nicht erlebt, wie bei dem. Davor hatte er das überhaupt nicht. Diese Schwankungen kamen erst danach. Innerhalb von einem Jahr hat sich das wieder gegeben. Dann haben wir ihn nur noch auf der Straße getroffen.
Ich habe immer gesagt: »Also wenn das auch noch eintrifft, dass der das wirklich war … das hab ich ja von Anfang an gesagt.« Weil ja nun vieles irgendwo passte. Und dann hab ich ihn noch einmal an der Tankstelle getroffen. Ich steig’ aus dem Auto, auf einmal kommt der aus der Tankstelle raus, nimmt mich in den Arm und ich denk: »Was ist denn jetzt los?« »Ach und wie geht’s?«, fragt er. Da hab ich gesagt: »So, Ende, aus, Schluss, ich will keinen Kontakt mehr.« Irgendwas stimmt mit dem nicht. So verändern kann sich kein Mensch wie der. Der war normalerweise immer ein Ruhiger, so ein Zurückhaltender, Ruhiger. Das war zu extrem.
Er hat in den Jahren seine Art sowieso verändert, er wurde auch ziemlich aggressiv, er hat ein paar Schlägereien gehabt wegen Nichtigkeiten und so. Jetzt vor Kurzem, bevor sie ihn verhaftet haben, da hat ihn die Tochter meines Kollegen gesehen mit ’nem ziemlich lädierten Gesicht. Das passte überhaupt nicht zu ihm.
Meine Frau hat sich vorher schon von ihm abgewandt. Dann kam noch dazu, dass er vor drei oder vier Jahren geheiratet hat und die Heiratsannonce, die er dann da reingesetzt hat – da war sie ganz und gar fertig.
Mutter: Die Anzeige muss man lesen. Die kann man nämlich nicht beschreiben.
Vater: Lies mal die Annonce und dann sag mir mal, was du bei der Überschrift denkst? [Überschrift: »Plötzlich und unerwartet haben wir geheiratet.«] Ich dachte zuerst: Wer ist denn jetzt gestorben?
Mutter: Da ist mir gar nichts eingefallen. Wie krank muss man denn sein? Ich weiß noch: Irgendjemandem hab ich das erzählt, da sagt der: »Wieso, da ist doch nix dabei.« Da sagte ich: »Geht’s noch?« Was daran normal sein soll, das möchte ich mal wissen. Ich hab anders geheiratet, nicht plötzlich und unerwartet. Wenn man nur den ersten Satz zeigt, was denkt man? Ja, Beerdigung. Unddann hab ich die Anzeige gezeigt. Da hab ich gesagt: »Jetzt könnt ihr alle von mir halten, was ihr wollt, das ist er.«
Er hat sie acht Jahre nach Melanies Tod geheiratet. Die Frau hab ich ein einziges Mal gesehen, letztes Jahr. Ich wollte rein in den Laden und die sind rausgekommen. So ’ne Schwarzhaarige, das totale Gegenteil von Melanie. Deswegen ist aus dem Haus gehen für mich mit ’nem Horrortrip verbunden. Er wohnt nur zwei Straßen weiter. Beim Einkaufen hier um die Ecke ist er mir ein Mal begegnet. Er ist raus und sie mit dem Kleinen auf dem Wagen und er kam, guckte nur und drehte sofort den Kopf weg. Es ist ein
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