Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
abgegeben.
Mutter: Klaus hat dann mit neunundzwanzig nochmal ’ne Lehre zum Altenpfleger gemacht. Mit neunzehn hat er geheiratet, jetzthat er zwei Kinder und arbeitet als Altenpfleger. Stefan ist Vorarbeiter in einer Firma. Das läuft richtig gut. Wir sind stolz auf die beiden. Dabei hatte es Klaus nicht leicht. Als er in der Bundeswehr war, da war er schon verheiratet, ist er nach drei Monaten dort zusammengebrochen. Da hat er dann noch Zivildienst gemacht. Er konnte nicht mit den Gewehren arbeiten. Wenn die geknallt haben, ist er total durchgedreht. Er war nur noch am Heulen und am Zittern. Als Altenpfleger arbeitet er aber gerne, das hat er schon immer gerne gemacht.
Vater: Stefan ist schon fünfzehn Jahre in seiner Firma. Er kauft jetzt ein richtig schönes Haus.
Mutter: Er ist auch verheiratet und hat zwei Kinder und will, dass wir mit ihnen zusammen in das Haus ziehen. Damit wir hier auch endlich wegkommen und nicht mehr in der Nähe vom Thomas leben. Dem will ich nicht mehr über den Weg laufen. Ich weiß auch nicht, wie ich dann reagieren würde. Die Polizei hat sich eben festgebissen an der Theorie, dass es einer aus der Familie war … aber nicht etwa einer, der fast zur Familie gehörte.
Wenn Grundannahmen die Richtung vorgeben
Bevor wir zu einer psychologischen Sicht auf den Fall kommen, ein kurzes Wort zu der scheinbar völlig vermurksten Spurenlage. Die Polizisten hatten zwei schwere Handicaps. Das erste war, dass sie – erfahrungsgestützt und nicht völlig abwegig – davon ausgingen, dass es sich um eine Tat aus dem direkten Umfeld der Tochter handeln musste. Wie sich später herausstellte, war das aber eine gefährliche Annahme, weil beispielsweise auch ihr Lehrherr als möglicher Täter infrage kam. Der gehörte aber nicht zum festgelegten »nahen« Umfeld der Tochter.
Ein viel größeres Problem war, dass – anders als bei CSI – oft auch nicht genug gut ausgebildetes Personal, geschweige denn Geld und Material zur Verfügung stehen. Der Fall P. ereignete sichzudem in einem ehemaligen Grenzgebiet, wo die Menschen, auch die Polizisten, auf beiden Seiten noch erhebliche Berührungsschwierigkeiten hatten. Der rüde Ton gegen die Angehörigen, gemischt mit dem regional teils üblichen, von oben herab durchgeführten Untersuchungsstil am Tatort, bei dem in der Tat häufig kein Stein auf dem anderen stehen bleibt, haben den Willen der Angehörigen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, verständlicherweise auf Null gesenkt. Darüber waren die Beamten aber vielleicht gar nicht so unglücklich, denn sie ermittelten ja jahrelang – und vielleicht auch heute noch – gegen eben die Eltern und Geschwister der Toten.
Einiges, das Ihnen vielleicht die Zornesröte ins Gesicht treibt, ist hingegen leider ansatzweise aus Ersparnisgründen verständlich (wenngleich sehr unschön). Dass beispielsweise die beiden blauen Mülltüten vor dem Durchgang zur Leiche nicht auf Fingerabdrücke untersucht wurden, ist wirklich ärgerlich. Andererseits glaubten die Polizisten von der ersten Sekunde an, dass der Täter oder die Täterin aus der Familie stammen müsste. Daher suchten sie gar nicht erst nach Fingerabdrücken. Denn bei Morden innerhalb einer Familie, die eng zusammenlebt (und wo die Schwester sogar ihrem Bruder das Bett zur Verfügung stellt, wenn sie nicht zu Hause ist), sind Fingerspuren ohnehin nicht aussagekräftig. Jedes Familienmitglied kann überall seine Fingerabdrücke hinterlassen, ohne, dass das etwas mit der Tat zu tun hat.
Oft genug stimmt diese Ursprungsannahme – Mord innerhalb der Famile – natürlich nicht. Doch dann ist es zu spät: Die Fingerspuren sind dann meist schon von vielen Handschuhen und Händen oder vom Transport und den damit einhergehenden Berührungen der Oberflächen zerstört.
Es gäbe noch viele andere Spuren, beispielsweise DNA vom Seil, Fasern von der Bekleidung des Täters am Körper der Leiche oder die Form der Blutspuren, die hier weiterhelfen könnte. Doch leider ist vieles davon verloren gegangen. Das ist für Krimifans schwer vorstellbar, passiert aber in der Wirklichkeit öfter, als man meint. Wie oft mein Team und ich schon nach Originalfotos, Stricken vonErhängten, Handschuhen von Tätern oder anderen Gegenständen erfolglos geforscht haben, weiß ich schon gar nicht mehr. In einem Fall fand ich sogar den blutigen Handschuh, mit dem vermutlich die Tat begangen wurde, Jahre nach den Ermittlungen am Tatort liegend. Doch auch hier muss man die andere
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