Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
glücklich zu sein, dann ist das meist der Funke, der die Gefühle im Verlassenen zum Überkochen bringt. Die darauffolgenden Taten verlaufen dann voller Wut und Gewalt. Der Täter lässt im wahrsten Sinne des Wortes auf einen Schlag seine ganze Gekränktheit, Wut und Trauer raus. Meistens benutzt er dabei viel mehr Gewalt, als zur Tötung der Exfrau oder -freundin eigentlich nötig wäre.
Oft fühlen die Täter hinterher nur wenig Schuldgefühle. In ihrem Erleben war die Frau »selbst schuld«, weil sie ihnen doch nur eine weitere Möglichkeit zur Rettung der Beziehung hätte geben müssen. Die Täter empfinden es oft so, dass die Partnerin ihnen »eigentlich« sehr wehgetan hat und der tödliche Wutausbruch nur »eine gerechte Strafe« dafür war.
Was bedeutet das für den hier geschilderten Fall?
Auch wenn bis heute niemand für den Mord an Melanie verurteilt wurde, vieles an dieser Tat und dem, was die Eltern des Mädchens über ihren Exfreund sagen, würde zu den bekannten Merkmalen einer Tötung aus verschmähter Liebe passen. Dass er zwischen den Gefühlen Traurigkeit und Fröhlichkeit in merkwürdig wirkender Weise hin- und herschwankte, könnte zwar eine normale Trauerreaktion sein, denn Menschen gehen sehr unterschiedlich mit Trauer um und starke Gefühlsschwankungen kommen dabei durchaus vor. Ebenso könnte es aber auch ein Ausdruck der Gefühlszustände sein, die ihn kurz vor und kurz nach der Tat beherrschten. Solche Täter fühlen vor der Tat starke Verzweiflung und Wut, nach der Tat fühlen sie sich oft erleichtert. Sie können sich beispielsweise sagen: Die Frau, die mein Herz gebrochen hat, hat ihre gerechte Strafe bekommen.
Es ist auf jeden Fall vorstellbar, dass der Täter eine neue, glückliche Beziehung führt und unbeschwert eine Familie gründet. Je länger eine solche Tat zurückliegt, umso mehr verfestigt sich im Täter oft die Überzeugung, dass das Opfer eigentlich an dem, was passiert ist, selbst schuld war. Deshalb könnte ein solcher Täter unbelastet in der Nähe des Tatorts und sogar der Familie des Opfers leben. In seiner persönlichen Wahrnehmung war seine Tat entweder gerecht oder er trug aus seiner Sicht keine Schuld daran, weil er sich von der Expartnerin gefühlsmäßig zu verletzt fühlte. Deshalb kann ein solcher Täter problemlos mit dem Wissen um seine Tat weiterleben.
Der folgende Fall ist einer der ganz wenigen, in denen entweder alles von der ersten Sekunde an schiefgegangen ist oder der Täter ein brillanter Lügner ist. Das Gericht hat sich für die zweite Variante entschieden. Eine mit dem Fall seit Langem befasste Person, die ihre Version hier für Sie schildert, sieht das ganz anders – und der Verurteilte natürlich auch.
Das Besondere an diesem Fall ist, dass es für den Täter absolut kein Motiv für den Mord gibt, wohl aber für einen anderen Nachbarn. Damit Sie die Geschichte aus der Sicht des Täters erfahren können, hat er sie mithilfe eines Bekannten für Sie aufgeschrieben. Die Beteiligten wollen anonym bleiben, weil der Verurteilte, mittlerweile ein älterer Mann, auf eine neue Verhandlung hofft. Allerdings sind Wiederaufnahmeverfahren immer sehr schwierig und haben selten Erfolg. Woran das liegt, weiß niemand. Denn unserer Erfahrung nach gibt es durchaus eine Menge Fehlurteile. Das erkennen wir immer dann, wenn wir – wie hier – Spuren noch einmal näher ansehen und sich eine ganz andere Lösung ergibt als vermutet.
Dass ein scheinbar eindeutiger Fall auf einen Schlag ganz anders aussehen kann, passiert gar nicht so selten. In den USA wurden deswegen seit 1973 schon 138 Menschen, die zum Tode verurteilt waren, wieder entlassen – also fast vier Menschen pro Jahr. Eine gewaltige Zahl, denn sie ist nur die Spitze des Eisberges. In den Fällen mit Todesstrafe bestand nicht der geringste Zweifel an der Schuld der Täter, und angesichts einer Tötung ermittelte die Polizei auch mit voller Kraft. Wie viele unschuldig Verurteilte gibt es also bei weniger schweren Taten, in denen weniger ermittelt wurde? Und, genauso unschön: Wie viele Täter haben ihr Leben in Freiheit verbracht, weil ein Unschuldiger für sie hinter Gittern saß oder gar hingerichtet wurde?
Das alles ist kein Fehler des angloamerikanischen Rechtssystems, das uns mit seinen oft völlig überforderten Laiengerichten sowie der großen Show mit Anwälten und Experten zu Recht fremd ist. Schon 1911 – ein Jahr vor seinem Tod – veröffentlichte der Jurist Erich Sello (s. Abb.
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