Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
links) Dutzende Fälle aus ganz Europa, in denen Todes- und lebenslängliche Strafen zu Unrecht ausgesprochen wurden. Das Problem falscher oder auch kaum prüfbarer Annahmen besteht in allen Lebensbereichen. Und natürlich schon immer auch vor Gericht.
Wenn es eine Instanz gäbe, an die sich ein deutscher Häftling wenden kann, um einen möglichen Irrtum aufzuklären oder zumindest darzustellen, wäre vieles einfacher. Doch diese Stelle gibt es nicht. Natürlich können sich viele von ihnen nicht gut ausdrücken oder beharren auf unwichtigen Details, die sie fürchterlich aufregen, juristisch aber völlig belanglos sind. Aber das ist kein Grund, ihnen nicht zuzuhören. Hinzu kommt, dass sie aus dem Gefängnis heraus schlecht selbst ermitteln können. Doch draußen ist niemand mehr zuständig. Das Urteil ist rechtskräftig und eine wahrheitsliebende, blinde Justitia gibt es bestenfalls im Trödelladen als Statue zu kaufen. Im Übrigen ist Justitia in der Tat hauptsächlich blind, erst recht, wenn die Fälle scheinbar aufgeklärt sind.
Anwälten geht es bei nachträglichen Nachforschungen meist nicht besser als ihren Klienten. Selbst der sehr engagierte und bekannteJurist Erich Sello rannte dauernd gegen Mauern und wurde sogar von seinen Kollegen geleimt. Im Vorwort zu seinem Buch über Justizirrtümer berichtet er davon:
»Wie oft war alle Mühe vergeblich. Wie oft hat sich ferner die Spur, der ich folgte, als trügerisch erwiesen.
Um nur ein Beispiel anzuführen: In einem ernsten wissenschaftlichen Werk fand ich einen Fall erwähnt, in dem ein Angeklagter von den Geschworenen des Mordes schuldig gesprochen, später aber auf das Gutachten der Ärzte hin wegen Geisteskrankheit außer Verfolgung gesetzt worden sei. Erst nach langen Mühen gelang es mir, den Fall festzustellen und die Gerichtsakten einzusehen. Daraus ergab sich, dass der Angeklagte wegen Totschlags rechtskräftig zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt und sein auf die Behauptung seiner Unzurechnungsfähigkeit gestützter Wiederaufnahmeantrag zurückgewiesen worden war. Er hat die Strafe ohne Unterbrechung bis jetzt verbüßt.
Endlich will ich nicht verschweigen, dass mir in nicht ganz wenigen Fällen die erbetene Auskunft teils ausdrücklich, teils stillschweigend verweigert worden ist. Die Gesamtsumme von Zeit, die ich auf solche negative Arbeit habe verwenden müssen, ist beklagenswert groß.«
Damit Sie sich ein Bild von diesen Schwierigkeiten machen können, folgt hier eine Schilderung aus der Sicht eines vielleicht unschuldig Verurteilten. Im Laufe der Lektüre werden Sie sehen, wie sich das Problem aufsplittert, verdichtet, verkompliziert und am Ende wieder ganz, ganz einfach wird. Der Unterschied zum Mord im Dachstuhl (s. S. 262 ff.) ist, dass diesmal nicht die Opfer sprechen, sondern der Häftling. Das Problem ist aber dasselbe: Es gibt niemanden mehr, der sich zuständig fühlt, und alle Spuren sind entweder verschwunden oder juristisch abgehakt.
Bitte wundern Sie sich nicht, wenn Sie am Ende nicht mehr wissen, was Sie glauben sollen: schuldig oder nicht schuldig. Das macht nichts, und darum geht es mir hier auch gar nicht. TüftelnSie zunächst einfach mit, ob es einen Beweis oder eine Spur gibt, die so offensichtlich ist, dass sie schlicht übersehen wurde. Denn das ist mein Job als Sachverständiger: Irgendetwas »Handfestes« in all dem Schutt und Gerümpel eines langen Verfahrens zu erkennen. Glauben spielt in meiner Welt keine Rolle, und ein einzelner Sachbeweis ist oft mehr wert als jede Zeugenaussage. Doch manchmal hilft beides nichts, wie Sie gleich sehen werden …
Lebenslänglich verurteilt trotz fehlendem Motiv
Sehr geehrter Herr Dr. Benecke,
Sie hatten mich gefragt, ob ich für Ihr Buch etwas zum Fall M. beitragen könnte. Ich komme dieser Bitte gern nach, da ich Herrn M. persönlich kenne, mich mit ihm verbunden fühle, mich mit seinem Fall beschäftigt habe und selbst von seiner Unschuld überzeugt bin. Für mich ist es unbegreiflich, dass er seit fast acht Jahren für einen Mord, den er nicht begangen hat, im Gefängnis sitzt, während die wirklichen Mörder noch auf freiem Fuß sind. Ich sehe in der Verurteilung von Herrn M. einen empörenden und traurigen Fall von Justizirrtum, der unbedingt in einem neuen Verfahren hätte behandelt und aufgedeckt werden müssen.
Der Mord an Herbert Sch.
Am 19. März 2002 wurde der damals fünfundsiebzigjährige Herbert Sch. aus L. im südlichen Sachsen-Anhalt in seinem Wohnzimmer
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