Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
wird jemals sicher entscheiden können, ob Hitler nun psychisch gestört war oder nicht. Das liegt daran, dass über ihn sowohl zu Lebzeiten als auch nach seinem Tod unendlich viele Gerüchte verbreitet wurden. Nach so langer Zeit und wegen der Flut wahrerund unwahrer Informationen über sein Verhalten ist es, so unglaublich das auch klingen mag, nicht mehr möglich, eine sichere Vorstellung von seiner Persönlichkeit und seiner Psyche zu entwickeln.
Es gibt kaum eine psychische Störung, die nicht irgendwann in der Person Hitler gesichtet wurde. Er wurde als hysterisch eingestuft oder als schizophren – das alles in Verbindung mit seiner Parkinsonerkrankung, seinem Drogenkonsum oder einer Syphilis. Auch als Psychopath, Antisozialer oder Borderliner haben Fachleute ihn bezeichnet. Seltener kamen auch die Ideen auf, er habe eine posttraumatische Belastungsstörung gehabt, sei autistisch oder manisch-depressiv gewesen.
Hitler als Person ist aber eigentlich gar nicht so interessant wie das, was er bewirkt hat: Menschenmassen sind diesem aus heutiger Sicht lächerlich wirkenden, schreienden Männchen zombiehaft gefolgt. Oft taten vorher unauffällige Menschen als Soldaten, SS-Männer oder KZ-Aufseher plötzlich unmenschliche Dinge.
Ihn als die Ausgeburt der Hölle und das Mensch gewordene Böse darzustellen, hatte und hat daher bis heute einen großen Vorteil. Hitler wird so zum Sündenbock für alles, was so viele Deutsche damals taten – ohne, dass er neben ihnen stand und den direkten Befehl dazu gab.
Das Böse steckt in jedem Menschen
Auch, wenn das für die meisten Menschen ein unerträglicher Gedanke ist: Im Grunde ist jeder Mensch dazu in der Lage, einen anderen zu töten oder grausam zu sein. Falls Sie das nicht glauben sollten, folgen hier zwei Versuche, die das eindrucksvoll bestätigen. Einen davon kennen Sie vielleicht aus dem Spielfilm Das Experiment , der aber nur entfernte Anleihen am echten Experiment nimmt.
1971 wollte der US-amerikanische Psychologe Philip Zimbardo herausfinden, wie sich psychisch gesunde Studenten – allesamt junge Männer – unter Gefängnisbedingungen verhaltenwürden. Alle Teilnehmer machten zuerst psychologische Tests. Nur Studenten, die darin keine psychischen Auffälligkeiten zeigten, durften beim Versuch mitmachen. Nur ein Drittel der Bewerber wurde ausgewählt.
Per Münzwurf wurden die Studenten in Gefangene und Wärter eingeteilt. Im Keller der Universität war ein kleines Gefängnis nachgebaut worden. Es gab reichlich versteckte Kameras und Mikrofone, damit die Psychologen den Verlauf des Versuchs beobachten konnten.
Die »Wärter« trugen Polizeiuniformen, verspiegelte Sonnenbrillen und Gummiknüppel, die »Gefangenen« ein Krankenhaushemd ohne Unterwäsche, einen Nylonstrumpf über dem Kopf und eine schwere Fußkette.
Die Studenten in den Wärter-Rollen wurden schon nach wenigen Stunden immer grausamer den »Gefangenen« gegenüber. Die »Gefangenen« wehrten sich daraufhin immer mehr. Zur Strafe mussten sie Liegestütze machen, nachts Eimer neben ihren Schlafplätzen als Toiletten benutzen und wurden zu jeder Tages-und Nachtzeit geweckt. Wehrten sich die »Gefangenen« noch mehr, dann besprühten die »Wärter« sie mit kaltem Kohlendioxid aus Feuerlöschern oder gaben ihnen nichts mehr zu essen.
Nach drei Tagen musste der erste »Gefangene« das Experiment vorzeitig verlassen, weil er eine starke Stressreaktion zeigte. Nach nur sechs Tagen wurde der Versuch abgebrochen. Bis dahin waren bereits vier »Gefangene« zusammengebrochen.
Das Ganze ging als »Stanford-Prison-Experiment« (nach der Universität Stanford, wo der Versuch stattfand) in die Geschichte der Psychologie ein. Die Studenten dort waren als »Wärter« ähnlich grausam wie die US-amerikanischen Soldaten im irakischen Gefängnis Abu-Ghuraib. Auch dort folterten und erniedrigten scheinbar normale junge Menschen ihre in diesem Fall echten Gefangenen und machten Fotos davon.
Es war nicht der einzige Versuch, bei dem ganz normale, nette, intelligente Menschen sehr schnell dazu gebracht wurden, grauenvolle Dinge zu tun. Schon zehn Jahre zuvor hatte der PsychologeStanley Milgram einen Versuch durchgeführt, um herauszufinden, wie weit Menschen Befehle befolgen würden.
Mit einer Zeitungsausschreibung wurden Teilnehmer für einen scheinbar harmlosen Versuch angeworben. Die Menschen, welche den Versuch mitmachten, wurden immer einzeln in ein Labor geführt. Dort wurde ihnen von einem
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