Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Wissenschaftler, der sich als Leiter des Versuchs vorstellte, gesagt, dass sie und ein anderer Teilnehmer per Zufall in einen »Lehrer« und einen »Schüler« eingeteilt werden würden.
In Wahrheit bekamen die Versuchsteilnehmer aber immer die »Lehrer-Rolle«. Der angebliche andere Versuchsteilnehmer war in Wahrheit ein Schauspieler. Den echten Teilnehmern erklärte der Versuchsleiter sachlich, dass sie an einem Versuch zum menschlichen Lernverhalten teilnahmen. Sie als »Lehrer« hätten die Aufgabe, dem »Schüler« immer dann Stromschläge zu verabreichen, wenn dieser bei einer Aufgabe falsch antwortete. Mit jeder falschen Antwort würde der Strom ein wenig stärker werden.
Die Teilnehmer bekamen zur Probe selbst einen kurzen, schmerzhaften Stromschlag, damit sie sich besser vorstellen konnten, was sie gleich dem »Schüler« antun würden. Damit es besonders erschreckend aussah, wurde der »Schüler« auf einem Stuhl festgebunden, der einem Elektrischen Stuhl sehr ähnlich sah. In Wahrheit war der Stuhl natürlich nicht an Strom angeschlossen.
Im Laufe des Versuchs gab der Schauspieler, der den »Schüler« spielte, immer mehr falsche Antworten. Die Versuchsteilnehmer hörten ihn bei jedem »Stromschlag«, den sie per Knopfdruck auslösten, lauter schreien. Irgendwann flehte der »Schüler« sogar, sie sollten aufhören und ihn losbinden.
Doch der Versuchsleiter sagte den Versuchspersonen immer wieder, »bitte machen Sie weiter«, »das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen«, »Sie müssen unbedingt weitermachen« und »Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen«. Außerdem sagte der Versuchsleiter, er übernehme die volle Verantwortung für den Versuch. Irgendwann rief der »Schüler«, den der»Lehrer« nicht sehen konnte, er wolle nicht mehr am Versuch teilnehmen. Später schrie er nur noch und schließlich rührte er sich gar nicht mehr.
Viele der »Lehrer« lösten sehr starke und sogar die stärksten, als lebensgefährlich gekennzeichneten Stromschläge aus, wenn ein Versuchsleiter sie mit seinen Worten dazu drängte.
Umstände, die in jedem das Böse wecken
Wie man sieht, stimmt es nicht, dass Menschen nur dann grausam handeln, wenn sie oder ein Angehöriger bedroht werden. Es gibt zahlreiche andere Situationen, die Menschen dazu bringen, Böses zu tun.
Wenn Gefangene durch ihre Kleidung nicht mehr wie eigenständige Menschen wirken und statt mit Namen nur noch mit Nummern angesprochen werden, dann fällt es denen, die als Wärter auch noch eine Ausrede dafür haben, grausam zu sein, leichter, diese schlecht zu behandeln. Genau das erleichterte es Wärtern in Konzentrationslagern, die Gefangenen nicht mehr als echte Personen anzusehen.
Es fällt Menschen auch leichter, grausam zu sein, wenn sie Teil einer Gruppe sind, in der alle anderen sich ebenso verhalten. Menschen sind darauf ausgerichtet, sich – besonders im Zweifelsfall – an das Verhalten anderer Menschen anzupassen. Mit diesem Verhalten befasst sich ein ganzer Unterzweig der Psychologie. In der Nazizeit fiel es den Menschen umso leichter, Juden gegenüber grausam zu sein, je mehr andere sich ebenfalls so verhielten.
Ganz normalen Menschen fällt es gegenüber »Gefangenen« oder auch »Versuchsteilnehmern« sehr viel leichter, sie beispielsweise mit Stromschlägen wissentlich zu foltern und in Lebensgefahr zu bringen, weil durch eine solche Situation der Anschein erweckt wird, der gefolterte Mensch sei an seiner Lage selbst schuld und würde sie deshalb auch verdienen. Und das erst recht, wenn die so grausam handelnden Menschen Vorgesetzte haben, die ihnen Befehle geben, oft sogar die »Verantwortung« übernehmenund allgemeine Regeln vorgeben. Dementsprechend rechtfertigten auch die Studenten in den Wärterrollen ihr grausames Verhalten damit, dass sie nur wichtige Regeln durchsetzten. Aus ihrer Sicht waren die Gefangenen an ihrer Strafe selbst schuld.
Während der Nazizeit konnte sich jeder auf den weit verbreiteten Judenhass und ganz konkret auf judenfeindliche Gesetze berufen. Das galt besonders für Soldaten, SS-Leute und KZ-Wärter, die sich immer damit rechtfertigen konnten, dass sie ja nur »Befehle ausführten«.
Die eigene Verantwortung eines jeden Menschen für jede seiner Entscheidungen wird durch all diese Umstände Stück für Stück ausgehebelt, und dagegen ist kein Mensch gefeit. Deshalb ist es wichtig, sich jeden Tag neu und bewusst für oder gegen das zu entscheiden, was man tut. Es ist sehr schwer,
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