Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Wahrscheinlichkeit vergrößern, dass ein Mensch irgendwann eine Straftat begeht. Garavito zeigte eine ganze Reihe davon: Er wurde von seinem Vater körperlich misshandelt und beschimpft, durch seine Eltern vernachlässigt und von einem Bekannten des Vaters als Kind sexuell missbraucht. Seine Familie war arm, er hat nur eine schlechte Schulbildung. Auch sein Gefühlsleben zeigt viele Auffälligkeiten, die bei Straftätern öfter vorkommen. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen, besitzt er nicht, Schuldgefühle sind ihm fremd. Enge zwischenmenschliche Beziehungen kann er kaum aufrecht halten, und er gerät immer wieder in Streitereien, weil er leicht reizbar und aggressiv ist. Hinzu kommt ein oft unkontrolliertes Verhalten aufgrund seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit. Die Art seiner Verbrechen wurde bestimmt durch seine sadistische und pädophile sexuelle Neigung. All das kam Stück für Stück zum Vorschein, als Garavito in Gesprächen mit Mark immer wieder recht freimütig aus seinem Leben erzählte. Natürlich war ihm nicht bewusst, wie viele der für forensische Psychologen und Psychiater interessanten Risikofaktoren er aneinanderreihte. Seine Erzählung war chaotisch, er sprang immer wieder zwischen verschiedenen Themen hin und her und fügte manchmal ganz beiläufig wichtige Details hinzu. Das Ergebnis ist ein lebhaftes und trauriges Gesamtbild eines typischen Schwerkriminellen.
Ein Zuhause voller Schrecken
Garavitos Vater war Eigentümer einer Kaffee- und Teeplantage, die allerdings nicht viel abwarf. Luis Alfredo war der älteste Sohn, ihm folgten sechs Geschwister. Über sich selbst als Kind sagte er: »Ich war ein sehr schüchternes Kind, klein und ängstlich. Ich hatte Angst in der Nacht vor der Dunkelheit.« Als er ungefähr sechs Jahre alt war, sah er, wie sein Vater seine Mutter an den Haaren über den Boden schleifte. Ein Bild, das sich ihm tief ins Gedächtnis eingrub. Wenn der Vater nach Hause kam, verkroch sich Luis Alfredounter dem Bett, solche Angst hatte er von ihm. Der Vater war jähzornig, er schlug und beschimpfte seine Frau und die Kinder. Die Mutter war überfordert und tat nichts, um sich und ihre Kinder zu schützen.
Mit zwölf Jahren schlug Luis Alfredo das erste Mal zurück, als sein Vater ihn mal wieder verprügeln wollte. Von da an wehrte er sich regelmäßig, was in Kämpfe mit dem Vater ausartete. Gewalt war an der Tagesordnung. Die vier Brüder verprügelten auch ihre Schwestern regelmäßig.
Dass er homosexuelle Empfindungen hatte, bemerkte er schon sehr früh. Er selbst beschrieb das so: »Während der ganzen Volksschulzeit gab es einen Jungen, der diese fünf Jahre mit mir zusammen zur Schule gegangen ist. Ich lebte damit, in diesen Jungen verliebt zu sein. Irgendwann hat er mich einmal gekratzt, und ich habe Lust dabei empfunden.«
In der Schule interessierte er sich besonders für Naturwissenschaften und Geografie. Das Interesse für Geografie behielt er, sodass er nach seiner Verhaftung eine erstaunlich detailgetreue, insgesamt mehrere Quadratmeter große Landkarte zeichnen konnte, auf der er Opfernamen, Tötungsdaten und andere Details wie das Alter der Opfer vermerkte. Eigentlich wollte er Arzt oder Landwirt werden, doch sein Vater verlangte von ihm, auf der Plantage zu schuften, und zwar kostenlos. Seit seinem zehnten Lebensjahr arbeitete Luis Alfredo nach der Schule dort, bald darauf den ganzen Tag, die Schule musste er ohne höheren Abschluss verlassen.
Als er dreizehn Jahre alt war, freundete sich Luis Alfredo mit einem zwölfjährigen Mädchen an. Es sei eine platonische Liebe gewesen, sagte er. Manchmal schlich er sich spät abends – wenn der Rest der Familie schlief – aus dem Haus, um sich mit dem Mädchen zu treffen. Dabei wurde er irgendwann von einem Freund seines Vaters erwischt. Dieser drohte, alles seinem Vater zu erzählen, der ihn hart für seine abendlichen Ausflüge bestrafen würde. Für sein Schweigen verlangte er von Luis Alfredo, an ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, was dieser aus Angst tat.
Immer unterwegs
Sobald er volljährig war, verließ Luis Alfredo die Plantage seines Vaters und schlug sich als Hilfsarbeiter durch. Von dem Geld kaufte er regelmäßig Alkohol und betrank sich. Schließlich fand er eine Anstellung als Aushilfe im Geschäft einer zwanzig Jahre älteren Frau, in die er glaubte, sich verliebt zu haben. Im Nachhinein behauptete er jedoch, dass seine Empfindungen für Frauen immer platonisch waren und er
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