Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Berkowitz. Ich bin Strafgefangener und seit zweiundzwanzig Jahren inhaftiert. Ich bin zu 365 Jahren Haft verurteilt. Mein Fall ist unter dem Namen ›Son of Sam‹-Morde bekannt. Es ist elf Jahre her, als ich in einer kalten und einsamen Gefängniszelle lebte und Gott in mein Leben kam. Dies ist meine Geschichte der Hoffnung.«
Zunächst erzählt Berkowitz von den psychischen Auffälligkeiten, die er als Kind und Jugendlicher hatte, und schmückt diese mit Details, die in Richtung »Besessenheit« weisen. So habe er beispielsweise Krämpfe gehabt, bei denen er sich auf dem Boden herumwälzte, wobei sich Möbel wie durch Geisterhand bewegt hätten.
Aus psychologischer Sicht kann ich dazu sagen: Berkowitz litt – wie ich bereits erklärt habe – als Kind an einer Störung des Sozialverhaltens,sehr wahrscheinlich zusammen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und einer Depression (siehe S. 102). Das ist für ein Kind sehr ungünstig, aber alles andere als eine teuflische Besessenheit. Deshalb sind die beschriebenen »Krämpfe« eher als Ausschmückung von Wutanfällen eines überaktiven, wütenden und gleichzeitig traurigen Kindes zu deuten, das seine Gefühle nicht gut steuern kann. Berkowitz selbst behauptet, er habe bei den Anfällen das Gefühl gehabt, von »etwas« – dabei meint er dämonische Mächte – erfasst worden zu sein.
Es kann sogar sein, dass er sich seine unglaubliche Wut rückblickend als dämonischen Einfluss erklärt. Dass antisoziale Täter die Schuld stets von sich wegschieben, ist schließlich typisch für sie. Einem Dämon an allem die Schuld zu geben, macht da durchaus Sinn. Für das Selbstwertgefühl von Berkowitz – der sogar eine ganze Satanssekte in seiner Vorstellung erschuf, um sich weniger minderwertig zu fühlen – kann die Umdeutung seines Lebens als dauernden Kampf zwischen Gott und dem Teufel sehr vorteilhaft sein. Deshalb ist es gut möglich, dass er tatsächlich glaubt, was er geschrieben hat.
Garavito als erfolgreicher Narzisst hat im Gegensatz zu Berkowitz kein ständig schlechtes Selbstwertgefühl empfunden. Er konnte immer erfolgreich andere Menschen beeinflussen, sich beliebt machen und seine Ziele durchsetzen. Deshalb braucht er die christlichen Geschichten nicht, um sein Selbstwertgefühl aufzubauen, vielmehr hofft er, sich positiv genug darstellen zu können, um vorzeitig entlassen zu werden.
Berkowitz dagegen hat immer nur Enttäuschungen erlebt und sich total in seine Fantasien von Macht und Bewunderung zurückgezogen. In der christlichen Gruppe, die seine Horrorgeschichten mit Begeisterung aufnahm, erlebte er zum ersten Mal echtes, ihm zugewandtes Interesse an seiner Person. Durchaus verständlich also, dass er sich fortan mit all seiner Energie als geläuterten Christen zu verkaufen suchte und vielleicht ja auch einer wurde. Berkowitz’ frühes Interesse an übersinnlichen Kräften wurde in seinen christlichen Kreisen als erste Verlockung des Teufel verstanden,um von ihm leichter Besitz ergreifen zu können. In Wahrheit steckte vielmehr sein Wunsch dahinter, einerseits mächtig zu sein und andererseits irgendwo dazuzugehören. Der kleine, einsame Junge, der sich selbst nicht mochte, hätte ebenso gerne einer – wie im Horrorfilmklassiker Rosemary’s Baby dargestellten – mächtigen Satanssekte angehört.
In seinem christlichen Lebensbericht schreibt er dazu: »1975 traf ich einige Leute auf einer Party, von denen ich später herausfand, dass sie tief in okkulte Praktiken verstrickt waren. Von Kindheit an war ich von Hexerei, Satanismus und okkulten Dingen fasziniert. Ich sah mir zahllose Horror- und satanistische Videos an. Der Film Rosemary’s Baby nahm meinen Verstand völlig gefangen.
Ich war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt, und diese böse Kraft streckte sich weiter nach mir aus. Überall wo ich hinkam schien ein Zeichen oder ein Symbol zu sein, das auf Satan hinwies. Ich fühlte mich, als ob etwas versuchte, die Kontrolle über mein Leben zu erringen. Ich las die satanische Bibel, ein Spätwerk von Anton LaVey, der 1966 die Kirche Satans in San Francisco gründete. Ich begann ganz unschuldig, verschiedene okkulte Rituale und Beschwörungen zu praktizieren.
Ich bin absolut davon überzeugt, dass sich damals etwas Satanisches in meinem Verstand eingenistet hat, und im Rückblick auf das, was passiert ist, stelle ich fest, dass ich ganz langsam in die Irre geführt wurde. Ich wusste nicht, dass schlechte Dinge daraus folgen
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