Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Menschen mit Alkoholhalluzinose können dagegen eine Richtung ausmachen, aus der die Stimme kommt. Oft entwickeln sie deshalb das Gefühl, die Stimmen würden sie verfolgen. Garavito beschrieb dazu passend, dass er Stimmen hörte, als würde jemand neben ihm sprechen, wobei er aber niemals jemanden sah.
Schizophrene haben oft zeitweise wirre, nicht mehr richtig zusammenhängende Gedanken. Das merkt man beispielsweise daran, dass sie keinem roten Faden im Gespräch mehr nachgehen können. Jemand, der ihnen zuhört, kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie sie von einem Gedanken auf den nächsten kommen. Menschen mit Alkoholhalluzinose können ihre Gedanken im Gegensatz dazu noch ordnen und mit anderen Menschen normal sprechen. Garavito war die ganze Zeit noch in der Lage, sich normal mit anderen Menschen zu unterhalten, denn er verwickelte seine zukünftigen Opfer in Gespräche, um sie an einen Ort zu locken, an dem er sie töten konnte. Hätte er sehr auffällig unzusammenhängende Gedanken gehabt und sich auch so geäußert, dann wäre es für ihn kaum möglich gewesen, unauffällig so viele Jungen dazu zu überreden, ihm zu folgen, um sie dann zu töten.
Garavito hat sich während seiner starken Alkoholsucht oft niedergeschlagen oder ängstlich gefühlt. Genau diese Zustände haben Menschen mit Alkoholhalluzinose oft. Sie zeigen aber nie Gefühlsausdrücke, die nicht zu ihrem Gefühl passen. Das tun allerdings oft Schizophrene: Sie lächeln beispielsweise, obwohl sie etwas Trauriges oder Beängstigendes erzählen, oder wirken ausdruckslos, obwohl sie etwas tun, was ihnen Spaß macht.
Schizophrene erleben oft Gefühl und Eindrücke, die psychisch gesunde Menschen sich nur schwer vorstellen können. Sie haben beispielsweise das Gefühl, dass andere Menschen ihre Gedankenaus ihrem Kopf ziehen oder ihnen fremde Gedanken in den Kopf hineinsenden. Manche haben den Eindruck, dass ihre Gedanken sich ausbreiten und für andere sichtbar oder hörbar werden oder dass ihr Körper ferngesteuert, vergiftet oder mit unsichtbaren Strahlen durchbohrt wird. Andere fühlen sich selbst gegenüber völlig fremd oder ihre Umgebung kommt ihnen beängstigend unwirklich vor. All diese Auffälligkeiten kommen bei Menschen mit Alkoholhalluzinose nur sehr selten vor, Garavito hat nichts davon jemals erwähnt.
Für eine Alkoholhalluzinose spricht auch die Tatsache, dass Garavito nach eigener Aussage heute im Gefängnis keine Stimmen mehr hört. Schließlich gibt es dort auch keinen Alkohol. Nach einiger Zeit ohne Alkohol verschwinden die Sinnestäuschungen einer Alkoholhalluzinose in den meisten Fällen von selbst. Bei einer Schizophrenie bleiben die Sinnestäuschungen eine Weile, manchmal sogar dauerhaft, unabhängig vom Alkoholkonsum. Sie hören nur dann schnell auf, wenn entsprechende Medikamente eingenommen werden.
Nach diesen Überlegungen ist klar, dass Garavito nicht schizophren ist. Jetzt stellt sich also nur noch die Frage, ob er an einer Alkoholhalluzinose gelitten haben könnte und diese tatsächlich die Stimmen, die er gehört haben will, erklärt. Wie wir gerade festgestellt haben, passen viele Merkmale einer typischen Alkoholhalluzinose zu Garavitos Schilderungen. Doch es gibt einige entscheidende Merkmale, die nicht dazu passen.
Menschen, die an einer Alkoholhalluzinose leiden, hören fast immer mehrere Stimmen, die über sie reden. Weil sie das Gefühl haben, dass diese Stimmen von bestimmten Stellen in ihrer Nähe kommen, glauben die Betroffenen oft, dass sie verfolgt werden. Garavito erzählte etwas für diese Störung sehr Untypisches: Die Stimmen hätten nicht über ihn geredet, sondern ihn direkt angesprochen und ihm gesagt, was er tun sollte. Allerdings hatte er auch den Eindruck, dass die Quellen dieser Stimmen, die er als Mächte oder Dämonen bezeichnete, ihn verfolgten und immer wieder neben ihm auftauchten.
Bei der Alkoholhalluzinose sagen die Stimmen Dinge, die den Betroffenen Angst machen oder sie verärgern. Manchmal beleidigen sie den Erkrankten, lachen ihn beispielsweise aus, weil er Alkoholiker ist und in seinem Leben nichts erreicht hat, oder Ähnliches. In einigen Fällen sprechen die Stimmen davon, dass dem Betroffenen etwas Schlimmes passieren, beispielsweise dass jemand ihn töten wird. Es kann auch sein, dass sie wie Verschwörer darüber reden, ihm etwas anzutun. Dies zu erleben ist wie ein lebendig gewordener Albtraum. Deshalb kommt es manchmal dazu, dass der Erkrankte sich in seiner
Weitere Kostenlose Bücher