Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
seiner Entlassung war er sogar Gast einer Talkshow des österreichischen Fernsehens. Es ging um die Wiedereingliederung Krimineller in die Gesellschaft, und Unterweger wurde als Paradebeispiel einer gelungenen Resozialisierung gefeiert.
Sein Bedürfnis, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, setzte er bei dieser Gelegenheit meisterhaft um. Kein Wunder, denn Psychopathen haben die Fähigkeit, nicht nur durch überzeugende Reden, sondern auch durch das bewusste Einsetzen bestimmter Kleidung, genau die Rolle zu spielen, die andere Menschen ihnen abkaufen sollen. Sie sind zwar selbst sehr gefühlsarm, können aber gut einschätzen, was andere Menschen fühlen, sich wünschen und wie sie sich verhalten werden. Deshalb können sie jede beliebige Rolle spielen und sich wenn nötig auch so darstellen, als hätten sie tiefe Gefühle.
Unterweger machte die Gesprächsrunde zu seiner persönlichen Bühne. Die Rolle, die er darstellte, war ein attraktiver, gebildeter und menschenfreundlicher Schriftsteller. Schon durch seine Kleidung zog er die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich: Er trug einen strahlend weißen Anzug und eine Nelke im Knopfloch. Wäre es nicht Unterweger gewesen, dann hätte diese Bekleidung übertrieben und unpassend in einer gediegenen, österreichischen Fernsehsendung gewirkt. Doch zur Figur des scheinbar geläuterten Exknackis und eigensinnigen Künstlers Unterweger passte der auffällige Stil.
In Szene setzte sich Unterweger auch für Fotografen. Er ließ sich mit seinem strahlend weißen Anzug, mit nacktem und auffällig tätowiertem Oberkörper oder mit kühlem Blick und einem in Richtung Kamera gehaltenen Stück Seil fotografieren. Ein bisschen verrückt und düster zu wirken konnte er sich angesichts seiner Vergangenheit erlauben. Das machte ihn für seine Zuschauer und Leser nur noch interessanter. Bei Lesungen trug er schöne Anzüge, in denen er aussah wie ein Geschäftsmann. Aufsein Publikum – besonders das weibliche – wirkte er anziehend, klug, humorvoll und wortgewandt.
Psychopathen wählen die Rollen, die sie spielen, immer nach ihren gerade drängenden Bedürfnissen und möglichst zur Situation passend aus. So auch Unterweger. Er wollte sich öffentliche Aufmerksamkeit, Ruhm und Bewunderung verschaffen. Also passte er sein Aussehen und Verhalten so an, dass er in Zeitschriften und im Fernsehen besonders interessant und attraktiv wirkte und einen bleibenden Eindruck hinterließ.
Der Serienmörder Ted Bundy (siehe S. 94 ff.) war Unterweger in vielen Dingen ähnlich. Er kam auch aus einer kaputten Familie, war ein bösartiger, sadistischer Psychopath und gleichzeitig ein gut aussehender und gebildeter Frauenschwarm. Bundy war während seiner Gerichtsverhandlungen rein äußerlich nicht von den anderen Juristen im Raum zu unterscheiden. Im Gerichtssaal zeigte er sich nur mit tadellos gelegten Haaren und genau zu ihm passenden Anzügen. Seine Körperhaltung wirkte überhaupt nicht wie die eines Angeklagten, sondern wie die eines aufstrebenden und selbstsicheren Anwalts.
Mit strahlendem Lächeln und flammenden Reden zu seiner Verteidigung versuchte er, die Verhandlung zu kontrollieren. Er bekam aber – ebenfalls typisch für Psychopathen – leicht Wutausbrüche, wenn er sich kritisiert fühlte. Schließlich benahm er sich nicht nur wie ein Anwalt, er wollte auch als solcher – und nicht als Angeklagter – behandelt werden.
Auch der psychopathische, sadistische Serienmörder Jürgen Bartsch (siehe M. Benecke, Mordmethoden und Mordspuren ) füllte die ihm in seiner Lebensumgebung besonders nützliche Rolle meisterlich aus. Von seinen übermäßig strengen Stiefeltern hatte er gelernt, dass er die Rolle des »lieben Jungen« zu spielen hatte. Denn einem lieben, braven Jungen traut niemand etwas Böses zu, und ihm kann auch keiner lange böse sein. Diese sein Leben lang für ihn vorteilhafte Rolle behielt er auch während der Gerichtsverhandlung und im Gefängnis bei. Seine Kleidung und Frisur blieb die eines übermäßig braven, kleinen Jungen.
Luis Alfredo Garavito (siehe Mordspuren ), ebenfalls ein psychopathischer und sadistischer Serienmörder, reiste in dem von Region zu Region sehr unterschiedlichen Kolumbien sein Leben lang umher. Je nach der Gegend, in der er gerade war, und den Menschen, mit denen er zu tun hatte, passte er seinen Kleidungsstil an. Im Gefängnis wählte er bei Marks Besuchen eine Kombination aus schicker Hose, Hemd und manchmal auch einer Krawatte, sodass
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