Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
ist aber, dass er sich nicht von irgendwelchen Stimmen – ob er sie nun Sinnestäuschungen oder Dämonen nennt – gezwungen fühlte, seine Verbrechen zu begehen. Der Drang in ihm, den er auch selbst beschrieben hat, war der Ausdruck seiner bösartigen, sexuellen sadistischen Neigung. Es waren seine eigenen Bedürfnisse und Gedanken, die ihn immer wieder dazu brachten, Jungen zu Tode zu foltern.
Wenn er Stimmen gehört hat, dann zusätzlich zu seiner ohnehin bestehenden sexuellen Neigung, sie waren aber nicht die Ursache für seine Bedürfnisse. Garavito hat sich selbst dafür entschieden, seine sexuellen und gewalttätigen Fantasien auszuleben. Weil er ein Psychopath ist, der weder Mitgefühl noch ein Gewissen hat, gab es nichts in ihm, das ihn davon abgehalten hätte. Er war also auf jeden Fall für seine Taten selbst verantwortlich – egal ob mit oder ohne Stimmen.
Wie viel Persönlichkeiten passen in einen Körper?
Garavito hat immer wieder erzählt, dass er manchmal Stimmen hörte, die nicht wirklich da waren. Ich habe im Abschnitt »Schließe aus, was unmöglich ist« erklärt, dass nicht nur schizophrene Menschen von solchen Erlebnissen berichten. Auf Veranstaltungen von Mark und mir stellt ab und zu jemand aus dem Publikum die Frage, ob Schizophrene nicht jene Menschen sind, die viele verschiedenePersönlichkeiten in sich haben. Diese Vorstellung ist so verbreitet, dass es sogar T-Shirts zu diesem Irrglauben gibt. Auf der Vorderseite steht »Ich bin schizophren« und auf der Rückseite steht »Ich auch«. Es gibt auch die etwas abgeänderte Version mit dem Spruch »Ich bin nicht schizophren« vorne und »Ich auch nicht« hinten.
Die Vorstellung, Schizophrene hätten mehrere Persönlichkeiten, ist falsch. Welche Auffälligkeiten sie häufig zeigen, habe ich auf Seite 145 schon erklärt. Es gibt aber tatsächlich eine psychische Störung, bei der ein Mensch verschiedene Persönlichkeitsanteile entwickelt, die teilweise nichts voneinander wissen. Diese Störung wurde früher »Multiple Persönlichkeitsstörung« genannt, inzwischen ist unter Fachleuten »Dissoziative Identitätsstörung« gebräuchlicher.
Diese Störung entwickelt sich in der Kindheit. Ausgangspunkt ist ein furchtbares Erlebnis, das man nicht verkraften kann. Die meisten Betroffenen wurden sexuell missbraucht, manche wurden schwer körperlich misshandelt oder haben etwas erlebt, bei dem sie fast gestorben wären – beispielsweise einen Autounfall. Kinder, die Derartiges erleben mussten, entwickeln sehr unterschiedliche psychische Probleme. Nur einige von ihnen spalten die schlimmen Erlebnisse von sich selbst ab. Dabei »übernimmt« eine zweite Persönlichkeit die Erinnerung an das furchtbare Erlebnis, während die ursprüngliche Persönlichkeit sich an das, was passiert ist, nicht mehr erinnern kann.
Oft entwickelt dieses Kind mehr als nur zwei Persönlichkeiten. Jede Persönlichkeit hat ganz bestimmte, stark ausgeprägte Eigenschaften, die Teile des ursprünglichen Menschen sind. Eine Persönlichkeit kann beispielsweise sehr aggressiv sein, eine andere ängstlich und schüchtern. Es ist so, als würde die Seele des Menschen in viele Splitter auseinanderfallen, und jeder dieser Splitter wird zu einer eigenen Person.
Menschen, denen das passiert, sind sich oft über Jahre nicht bewusst darüber, was eigentlich mit ihnen los ist. Ihnen fällt zwar auf, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung ist, aber sie wissen nicht was. Oft haben sie Erinnerungslücken. Dabei fällt ihnen beispielsweisenicht mehr ein, was sie in den letzten zwei Stunden oder am Vortag gemacht haben, so stark sie auch darüber nachdenken.
Manchmal erzählen ihnen Freunde, dass sie etwas getan oder gesagt haben, woran sie sich nicht erinnern können und was auch eigentlich nicht ihre Art ist. Sie finden Kleidung oder andere Dinge zu Hause, von denen sie sicher sind, dass sie die nicht gekauft haben. Oder sie entdecken auf dem Küchentisch benutztes Geschirr, obwohl sie alleine wohnen und sicher sind, dass sie das Geschirr seit dem letzten Spülen nicht wieder benutzt haben.
Oft suchen diese Menschen irgendwann einen Therapeuten auf. Sie können dafür ganz unterschiedliche Gründe haben. Manche fühlen sich beispielsweise längere Zeit traurig und niedergeschlagen. Andere haben starke Ängste oder Probleme mit dem Beziehungspartner oder Arbeitskollegen. Während der Therapie fällt dem Therapeuten irgendwann auf, dass er mit unterschiedlichen Teilpersönlichkeiten
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