Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
seltsamen Geschichte und dem überraschenden Auftauchen der seit Jahren vermissten Elisabeth.
Die Polizei schaffte es, Josef Fritzl und Elisabeth abzufangen und auf der Wache getrennt zu befragen. Sie merkten schnell, dass die vor ihnen sitzende, seltsam blasse Frau sehr unruhig war. Nachdem sie ihr versicherten, dass sie und ihre Kinder vor dem Vater geschützt werden würden, machte Elisabeth Fritzl eine ausführlicheAussage. Die Polizisten waren fassungslos, für sie klang die Geschichte wie aus einem grausamen Horrorfilm.
Noch in derselben Nacht wurde Fritzl verhaftet. Elisabeth und ihre Kinder wurden in das Landesklinikum von Amstetten gebracht. Dort blieben sie acht Monate lang und wurden sowohl von Ärzten als auch von Psychologen betreut. Im Dezember 2008 verließ Elisabeth Fritzl gemeinsam mit ihren sechs Kindern das Krankenhaus. Sie nahmen eine neue Identität an und leben seither an einem unbekannten Ort in Österreich. Ihre Stärke, wegen der ihr Vater sie einst zu seinem Opfer erkoren hat, macht es ihr möglich, nach diesem unfassbaren Martyrium wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Josef Fritzl sah nach seiner Verhaftung keinen seiner Angehörigen wieder. Für jemanden, der sich zwei Welten und zwei Familien erschaffen hat, weil er eigentlich immer nur Angst hatte, verlassen zu werden, wurde der ultimative Albtraum wahr: Beide Welten stürzten ein. Doch seine Fähigkeit, Dinge auszublenden, half ihm dabei, auch in dieser Situation aus der Wirklichkeit zu fliehen. Er wollte einfach nicht wahrhaben, dass keine seiner zwei Familien mehr etwas von ihm wissen will. Und was Josef Fritzl nicht wahrhaben will, das existiert für ihn nicht.
So redete er sich ein, Elisabeth habe nur gegen ihn ausgesagt, um ihre Kinder zu schützen, als die Behörden sie unter Druck setzten. In seinem Kopf hielt er an dem Glauben fest: »Eigentlich« hätte sie ihn nicht verraten wollen, »eigentlich« war sie schließlich seine zweite Frau, seine Vertraute. Josef Fritzl glaubte noch Ende 2010, als er einem Reporter, der sich ins Gefängnis eingeschlichen hatte, ein Interview gab, dass seine Familie »eigentlich« noch zu ihm halten würde.
Die Tatsache, dass die acht Briefe, die er Ehefrau Rosemarie aus dem Gefängnis geschrieben hatte, nie beantwortet wurden und er von keinem seiner dreizehn Kinder jemals Besuch bekam, erklärte er sich damit, dass die Gefängnisleitung seine Angehörigen daran hindern würde. Über seine Ehefrau sagte er während des Interviews: »Ich weiß, dass sie mich immer noch liebt. Mein Traum ist,dass ich es noch erlebe, hier lebendig rauszukommen. Ich würde später gerne meine Frau pflegen, weil sie mir immer die Treue gehalten hat.« Die Gerichtsgutachterin Dr. Kastner beschrieb seine völlige Verkennung der Wahrheit so: »Er hat die Neigung, sich die Wirklichkeit nach Belieben zurechtzuzimmern, wobei das Ergebnis dieser inneren Umformung von Herrn Fritzl als ›die Realität‹ angesehen wird.«
Zellen spielen in Josef Fritzls Leben eine wichtige Rolle. Als Kind entfloh er seiner bedrohlichen Umwelt, indem er sich eine Zelle in seinem Kopf schuf. Seiner geliebten und gleichzeitig verhassten Mutter bestimmte er eine Zelle als Lebensraum für ihre letzten Jahre. In einer Zelle unter der Erde baute er sich eine Welt auf, die nur der Erfüllung seiner Bedürfnisse diente. Aus der Zelle in seinem Kopf wurde auf fünfundfünfzig Quadratmetern Realität. Josef Fritzl sitzt nun wieder in einer kleinen Zelle. Doch die eigentliche Zelle, in der er sitzt, ist weiterhin in seinem Kopf. In dieser Zelle leben seine »zwei Ehefrauen«, seine dreizehn Kinder, und er wird von allen geliebt, so sehr, wie er es sich in seiner Kindheit immer gewünscht hat.
Wolfgang Priklopil
Die Geschichte des österreichischen Mädchens Natascha Kampusch, das acht Jahre in einem kleinen Keller gefangen gehalten wurde, ist weltweit ebenso bekannt geworden wie der Fall der Familie Fritzl. Sehr viel wurde über das Opfer und ihren Weg zurück ins Leben berichtet. Die Informationen über den Täter, der sich am Abend nach der Flucht des Mädchens das Leben nahm, sind verhältnismäßig rar. Deshalb ist die Erklärung dafür, wie sich sein Wunsch nach einer erzwungenen Lebensgefährtin entwickelte, nicht so offensichtlich zu finden wie im Fall des Josef Fritzl. Dennoch fallen einige Ähnlichkeiten zwischen Wolfgang Priklopil und Josef Fritzl auf.
Sowohl Priklopil als auch Fritzl hatten keine engen Freunde. Sie pflegten
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