Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Kindern in diesem Loch zu hausen war unerträglich, sodass auch Monika nach zehn Monaten im Keller nach oben geholt wurde. Um auch dieses Findelkind zu erklären, ließ sich Fritzl eine besonders geschickte Erklärung einfallen. Er zwang Elisabeth im Keller, auf ein Tonband zu sprechen, auf dem sie ihre Mutter Rosemarie darum bat, sich auch um dieses Kind zu kümmern. Fritzl rief seine Frau von auswärts an und spielte das Band ab. Rosemarie meldete dies der Polizei und erwähnte dabei auch, dass sie sich nicht erklären könne, wie Elisabeth ihre neue Geheimnummer habe erfahren können. Doch wie die meisten Frauen von übermäßig herrschsüchtigen, sadistischen Straftätern, war sie gewohnt, nicht nur ihrem Mann alles zu glauben und geradezu willenlos zu gehorchen. Deshalb schöpfte sie noch immer keinen Verdacht.
Im Mai 1996 bekam Elisabeth Zwillinge. Während der kleine Alexander überlebte, starb sein Zwillingsbruder Michael nach drei Tagen Todeskampf im Keller. Obwohl das Baby nach Luft rang und blau anlief, weigerte sich Josef Fritzl, es medizinisch versorgen zu lassen. Rückblickend erklärte er dies damit, dass er dachte, das Kind würde auch ohne Hilfe überleben. Das ist eine Rechtfertigung, die angesichts des körperlichen Zustandes des Kindes völlig unglaubwürdig ist, doch vermutlich hat Fritzl selbst in all den Jahren angefangen, seine eigenen Ausreden zu glauben. Die Babyleiche verbrannte er im Heizungsofen des Kellers und verstreute die Asche in seinem Garten.
Nach fünfzehn Monaten wurde der überlebende Zwilling Alexander nach oben geholt und wie seine Schwestern als von Elisabeth abgegebenes Kind ausgegeben, um das sich ihre Eltern angeblich kümmern sollten. Schließlich wurde Elisabeth 2002 ein letztes Mal schwanger und brachte ihren Sohn Felix zur Welt. Fritzl holte Felix nicht nach oben, weil seine inzwischen dreiundsechzigjährige Frau mit der Versorgung der drei bei ihnen lebenden Kinder voll ausgelastet war und seiner Meinung nach mit einem weiteren Kind überfordert gewesen wäre.
So vergingen weitere fünfeinhalb Jahre, in denen Fritzl mit Ehefrau Rosemarie und drei seiner Kinder – die gleichzeitig auch seine Enkel waren – oben in seinem Haus ein scheinbar normales Leben führte. Zwischendurch besuchte er alle paar Tage seine »zweite Familie«, also seine für ihn zur »zweiten Ehefrau« gewordene Tochter Elisabeth und die drei von Geburt an im Keller lebenden Kinder, in ihrer fünfundfünfzig Quadratmeter kleinen Welt, wo es weder Sonnenlicht noch frische Luft gab. Obwohl die Kinder mangels Sonne, Bewegung und angesichts der modrigen Luft oft krank waren, gewährte Fritzl ihnen keine medizinische Versorgung außer Aspirin und Hustensaft.
Mit seiner »Kellerfamilie« nahm er Mahlzeiten ein, die Elisabeth kochte, schaute Videokassetten an, brachte ihnen Geschenke mit und stellte ihnen zu Weihnachten sogar einen Tannenbaum ins Verlies. Elisabeth brachte er zuweilen sogar Blumen und hübscheKleidung mit, ganz so, als sei sie in seiner Fantasiewelt die von ihm geschätzte und geliebte Frau. Dann ließ er sie wieder tagelang ohne Strom oder Lebensmittel, wenn er über etwas verärgert war.
Er brachte seiner »Kellerfamilie« auch Fotos und Videos der »Familie oben«, ganz so, als könnte das das Leben, welches sie verpassten, alleine durch das Anschauen der Fotos ersetzen. In den Medien wurde berichtet, gerade das Zeigen des Lebens »oben« sei für die Familie »unten« der »Gipfel der Demütigung« gewesen. Doch Fritzl selbst hat dies sehr wahrscheinlich ganz anders wahrgenommen. In seiner Fantasiewelt im Keller gehörte es zu dem, was er als »Normalität« betrachtete, einfach dazu, der kleinen Familie vom Leben oben zu berichten. Vermutlich glaubte er sogar, dies sei eine »Nettigkeit«, die er ihnen entgegenbrachte. Elisabeth erklärte ihren Kindern, »oben« sei auf einem anderen Planeten. Das beschrieb Josef Fritzls Art, sein Leben in unterschiedliche Welten aufzuteilen, tatsächlich sehr treffend.
Da Elisabeth ihm nicht entfliehen konnte und ihr Überleben sowie das ihrer Kinder von ihm abhing, passte sie sich so weit notwendig seinen Wünschen an und verhielt sich wie eine »folgsame Ehefrau«. Sie täuschte weitestgehend die Normalität vor, die Fritzl sich in seiner Parallelwelt im Keller wünschte, um seine leicht auslösbaren Wutanfälle und die damit einhergehenden Bestrafungen so weit möglich zu vermeiden und besonders ihre Kinder vor ihm zu schützen.
Der
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