Aus der Hölle zurück
sprechen.«
Durch das kleine Fensterchen erblickte ich zwei ziemlich hochgewachsene Uniformierte und einen Zivilisten mit Hut, die Herr Karwat, der Direktor der Genossenschaft, persönlich zur Bude führte. Mein Herz begann wie wild zu schlagen. In welche Richtung sollte ich ausreißen? Ich stand in der Tür. Die Fremden waren schon ganz nah. Da haben sie mich also doch erwischt, dachte ich. Ich sah, daß die beiden Uniformierten runde Offiziersmützen mit schwarzem Mützenband trugen; und in der Mitte … ein Totenkopf. Gestapo! Ich hatte keine Zweifel mehr.
Einer von ihnen wandte sich in akzentfreiem Polnisch an mich: »Sie sind also Herr Sobolewicz.« In seiner Stimme schwang gleichsam Verwunderung mit. »Ja«, antwortete ich, und er wiederholte: »Tadeusz Sobolewicz, nicht wahr?« »Das stimmt«, gab ich zurück. »Sie kommen mit«, warf der zweite – in minder höflichem Ton – ein. Unterdessen betrat der bebrillte Zivilist die Bude, sah sich um, murmelte dem Direktor, der wie eine Salzsäule dastand, so etwas wie ein »Heil Hitler!« zu und kam uns nach.
Auf der Straße stand ein Auto. Sie befahlen mir, mich zwischen sie auf den Rücksitz zu setzen. Der zweite Uniformierte setzte sich ans Steuer. Der Wagen fuhr an. Derjenige, der Polnisch sprach, wandte sich an mich: »Wenn du die Wahrheit sagst, ist alles in Ordnung, und du kehrst zur Arbeit zurück. Wann bist du geboren?« Jetzt siezte er mich nicht mehr. Er war sich bewußt geworden, daß ich noch ein unreifes junges Bürschchen war. Mein Aussehen bestätigte das. »Am 25 . März 1923 «, antwortete ich in Übereinstimmung mit der Kennkarte. »Wo geboren?« – »In Lemberg.« – »Wo wohnst du?« lautete die nächste Frage. »In der Kilińskiego-Straße.« – »Na, das ist gut! Dann wirst du jetzt länger dort wohnen«, warf der in Zivil auf dem Vordersitz höhnisch ein. »Hausnummer?« fragte der andere. » 154 .« – »In Ordnung. Vorerst reicht’s!«
Das Auto hielt vor der Nummer 10 in der Kiliłńskiego-Straße. Der Fahrer hupte, und ein Posten öffnete das Einfahrtstor. Auf dem Hof befahlen sie mir auszusteigen. Einer führte mich in den Keller. Er öffnete eine Tür, befahl mir hineinzugehen und schloß gleich hinter mir ab. Ein kaum wahrnehmbarer Lichtschein fiel von einem hoch angebrachten vergitterten Fenster herab.
Die Zelle war sauber, glatt betoniert, ohne jede Einrichtung. Dort gab es buchstäblich nichts, nur saubere, weißgetünchte Wände. Als ich mich – in dem kärglich einfallenden Licht – an diesem Weiß sattgesehen hatte, vernahm ich plötzlich ein Stöhnen. Ich erstarrte. Nach einer Weile wiederholte sich das Stöhnen. Es kam aus der Nachbarzelle. Und wieder hörte ich es. Es war etwas schwächer geworden. Dann vernahm ich aus der Ferne plötzlich das Knarren der Eingangstür zum Keller und gleich darauf das Gebrüll eines Deutschen: »Du polnischer Bandit! Du wirst hier verrecken, verfluchtes Schwein!« Ich hörte einen Stoß oder Schlag, und dann so etwas wie das Geräusch eines hinfallenden Körpers. Wiederum drehte sich der Schlüssel im Schloß der Nachbarzelle. Schritte. Und Stille.
Ich begann mir Gedanken über meine Lage zu machen und wurde plötzlich von entsetzlicher Angst ergriffen. Um Gottes willen! Ich hatte schließlich den Brief des Vaters mit seiner Geheimadresse und ein zehn Tage altes »Biuletyn Informacyjny« bei mir! Heilige Jungfrau Maria! Welch ein Glück, daß sie mich nicht durchsucht hatten! Vielleicht aus Versehen? Sie hatten es eilig gehabt. Sollte sie mein harmloses Aussehen genarrt haben? Oder sollte das eine Falle sein? Vielleicht beobachtete mich jemand vom Flur aus? Vielleicht belauschten sie mich in der Zelle?
Meine Phantasie begann zu funktionieren. Ich befühlte mit der Hand die hintere Hosentasche. Der Brief war da. In den anderen Taschen entdeckte ich einige Zigaretten und Streichhölzer. Doch wie sollte ich den Brief verbrennen, ohne Spuren zu hinterlassen? Ich steckte zunächst den Umschlag, dann den Brief und das »Blatt« in Brand. Die verkohlten Überreste versteckte ich in meinem Schuh. Ich hatte Angst, irgendeine Spur in der Zelle zu hinterlassen. Brandgeruch und etwas Rauch hingen weiterhin in der Luft. Hoffentlich kamen sie nicht gerade jetzt! Ich atmete auf. – Wenn sie diese Papiere bei mir gefunden hätten, hätte das riskant werden können.
Der verbrannte Brief und das Bewußtsein, daß ich keinerlei belastenden Beweis für meine Tätigkeit in der
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