Aus der Hölle zurück
Tode verurteilt wurden. Aus der Nebenzelle hatte man vor einigen Tagen sieben Männer zur Erschießung abgeholt.
Die ständig zunehmende Spannung bewirkte, daß man in Gedanken immer mehr von der Frage gepeinigt wurde, was der kommende Tag bringen würde. Das war einfach nicht zu ertragen. Der eingesperrte, seiner Freiheit beraubte Mensch unterliegt früher oder später einer gewissen inneren Verzweiflung. Möge kommen, was da will, wenn man nur nicht länger auf diesen 15 Quadratmetern mit den fremden Menschen und dem Kübel in der Ecke ausharren muß. Aber die Häscher wußten bestens darüber Bescheid. Einen erschöpften, verzweifelten Häftling konnte man beim Verhör leichter zum Aufgeben zwingen. Die dritte Woche meines Aufenthalts in der Zelle ging zu Ende. Eines Tages bat ich meine Leidensgenossen, sie möchten mir erlauben, in der Zelle gymnastische Übungen zu betreiben. Ich wollte nicht in Zweifel verfallen und nicht schwach sein, wenn sie mich zum Verhör holten. Ich brauchte Bewegung, irgendwelche Bewegung. Andere folgten meinem Beispiel. Nur Sukiennik hielt an der Tür Wache. Leibesübungen waren in der Zelle untersagt. Um die beunruhigenden Gedanken irgendwie abzulenken, sprach Wieczorkowski laut über Literatur, über das Schaffen von Mickiewicz und dann über Zeromski. Das Thema interessierte nicht alle gleichermaßen, aber sie hörten zu. Der Zweck an sich war, abgelenkt zu werden und wenigstens eine kurze Zeit nicht an die eigene Situation zu denken. Eines Tages wurden zwei neue Häftlinge in unsere Zelle gestoßen, der Lehrer Rychlewski und der Schlosser Szulakowski. Wiederum wurde es enger, aber da half eben nichts.
Und dann kam schließlich der Tag, an dem morgens mein Name aufgerufen wurde. Ein Krampf verschlug mir den Atem. Diese verfluchte Ungewißheit! Was würde mit mir geschehen? Sukiennik und Wieczorkowski drückten mir die Hände. Halt dich tapfer – las ich in ihren Augen. Ich ging auf den Flur und dann auf den Gefängnishof. Im PKW befanden sich zwei weitere, mit Handschellen gefesselte Häftlinge. Die Gestapo-Leute stiegen zu, der Wagen fuhr an. An diesem Tag schien die Sonne. Es war Oktober, Herbstbeginn. Das Verlassen der Zelle und die frische Luft berauschten mich. Irgend etwas dröhnte im Kopf, in den Ohren vernahm ich ein angenehmes Rauschen. Durch die Wagenscheibe sah ich in Freiheit herumspazierende Menschen.
Eilig strebten sie irgendwohin, mit Taschen, Aktentaschen, Einkaufsnetzen. In den Alleen liefen Kinder zwischen den Bäumen herum. Ältere Herren führten ihre Hunde aus. Plötzlich nahm ich mit entsetzlicher Klarheit die Vielfarbigkeit der Kleidung wahr, die die von mir betrachteten Leute trugen. Die fröhlichen, hellen Farben fesselten meinen Blick; wahrscheinlich, weil im Gefängnis alles irgendwie grau, dunkel und trübselig war. Noch irgendeine junge Frau mit einem Kinderwagen, dann eine Kirche mit mehreren Türmchen … und eine scharfe Kurve. Das Auto fuhr an dem mir bekannten Tor vor, wir wurden auf den Hof gelassen. Der Film von der Freiheit war zu Ende. »Raus!« Dieser Befehl verhieß nichts Gutes.
Ich stieg aus. Die beiden mit Handschellen Gefesselten wurden in den Keller gebracht. Mir befahl man, nach oben zu gehen. Im dritten Stock befahl mir der Gestapo-Begleiter stehenzubleiben. Er klopfte an eine der Türen, und nachdem von innen die Antwort gekommen war, führte er mich in ein Zimmer. Ein Zivilist in mittleren Jahren saß an einem Schreibtisch. Es war derjenige, der bei meiner Festnahme dabeigewesen war. Neben ihm stand ein Gestapo-Mann in Uniform: »Hinsetzen«, er deutete auf einen Stuhl.
Das war also mein Verhör. Im ganzen Körper spürte ich eine seltsame Schwäche und Kraftlosigkeit. Mir war alles egal. Möge geschehen, was da wolle. Aber von einem war ich fest überzeugt: daß ich nichts sagen würde.
Die erste Frage fiel so plötzlich, daß es mir den Atem verschlug. »Wer hat deinem Vater öfter verbotene Zeitungen und Briefe in Umschlägen gebracht?« – »Mein Vater wohnt nicht mit mir zusammen«, antwortete ich. Der uniformierte Gestapo-Mann trug Lederhandschuhe. Er trat zu mir und hob mit einer Hand mein Kinn an. »Aber er hat mit dir zusammen gewohnt«, sagte er in feinstem Polnisch. »Es geht um den Zeitraum, in dem du bei deinem Vater in Częstochowa gewohnt hast. Verstanden?« Ohne lange zu überlegen, antwortete ich: »Damals habe ich im Geschäft gearbeitet. Den ›Goniec Krakowski‹ oder den ›Völkischen Beobachter‹
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