Aus der Spur
über die Schulter. Nein, der durchgeknallte Alte verfolgte ihn nicht.
Shamus setzte sich ins Auto. Dort begann er, am ganzen Körper zu zittern. Dennoch gelang es ihm, den Wagen anzulassen und das Radio auf volle Lautstärke zu drehen, bevor er einen Schmerzensschrei losließ. Er konnte seine Finger zwar bewegen, doch sie taten noch immer weh. Der Schmerz in seinem Kiefer wurde schlimmer, als er schrie. Shamus schloss die Augen und versuchte, in der Musik aufzugehen. Aber die altvertraute Stimme war lauter.
» Angsthase, Pfeffernase… «
Shamus wechselte den Sender, und Country-Musik erfüllte das Auto. Doch es machte keinen Unterschied.
» …morgen kommt der Osterhase… «
Ein anderer Sender. Diesmal war es Rap.
Grans Stimme war laut und durchdringend. » Du warst schon als Kind ein Schlappschwanz, und als ausgewachsener Mann taugst du erst recht nichts! «
» Hör auf! « , schrie Shamus und drückte auf den Zigarettenanzünder.
» Du weißt, was bösen Jungs blüht… «
Der Anzünder schnappte zurück.
» Böse Jungen bekommen das Zeichen des Feiglings! «
» Ja, ich weiß. « Shamus zog seine Hose herunter und dann seine Boxershorts so weit hinauf, bis die unterste der kreisförmigen Narben zu sehen war. Wenn er den Zigarettenanzünder nicht genau an der richtigen Stelle ansetzte, würde sie niemals Ruhe geben. Aber sie hatte ja recht.
» Worauf wartest du noch? «
Shamus zog den Zigarettenanzünder aus der Buchse. Die orangefarbene Metallspirale glühte. Das Zischen, mit dem die Spitze die Innenseite seines Oberschenkels berührte, konnte er nicht hören, aber einen Moment später roch er verbranntes Fleisch. Der Schmerz wusch ihn rein und ließ ihn die blauen Flecken vergessen, die ihm der alte Mann verpasst hatte. Lautlos verließ Grans Geist das Auto. Sie konnte sich darauf verlassen, dass Shamus die Sache später zu Ende bringen und Asche in die Wunde reiben würde. So würde garantiert eine Narbe zurückbleiben. Genau, wie sie es ihm beigebracht hatte.
Shamus machte das nichts aus. Die Spielregeln hatten sich geändert. Er wusste jetzt genau, was er zu tun hatte, um Gran stolz zu machen.
Kapitel 11
Seebeben
Montagmorgen
Chang ruderte über einen stillen See. Das Paddel erzeugte sanfte Wellen auf der glatten Oberfläche. Doch dann störte ein Geräusch seine Konzentration, und es fiel ihm schwer, die Illusion aufrechtzuerhalten. Das Ruder verwandelte sich in einen Tennisschläger. Überall um das Kanu herum tauchten Tennisbälle aus dem Wasser auf. Wie Augen, die Chang anstarrten. Ihre Augen waren grün gewesen …
» Wie oft soll ich Ihnen eigentlich noch sagen, dass Sie den Scheißschreibtisch stehen lassen sollen? «
Chang gab seine Meditationsversuche auf und öffnete die Augen. Sergeant Foley hatte sich vor ihm aufgebaut und blies ihm seinen Wurstatem ins Gesicht. Die übrigen Schreibtische im Raum standen in Reih und Glied, Chang aber hatte seinen um neunzig Grad gedreht. Auf der Tischplatte thronten ein kleiner Zimmerbrunnen und ein Windspiel.
» Und wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass mein Schreibtisch parallel zu dieser Wand da stehen muss? Sonst gerät mein Qi völlig durcheinander. «
» Ich habe keinen Schimmer, wovon Sie reden, und außerdem interessiert mich Ihr Tschi einen Dreck! Hier hat nicht Ihr Guru das Sagen, sondern ich. « Foleys Uniform sah aus,als hätte man sie gestärkt, nachdem er sie angezogen hatte.
Chang richtete sich auf und nahm Foleys Schwachpunkte ins Auge. Es wäre so einfach, dachte er. Ein einziger schneller Schlag… Das Herz des Drachen raste und beschleunigte Changs eigenen Pulsschlag.
» Wehe, das Ding steht nicht gerade, wenn ich wiederkomme! « , drohte Foley und verschwand.
Chang rührte sich nicht, und sein Blutdruck ging wieder nach unten. Er war nicht ganz sicher, was ihn mehr entspannte: das Feng-Shui selbst, oder Foley damit auf die Palme zu bringen.
Nelson kam auf Chang zu. Er musste das Ende der Konfrontation mitbekommen haben, denn er meinte: » Es gibt da so ein altes Sprichwort: Ein Nagel, der heraussteht, muss eingeschlagen werden. «
Chang winkte ab. » Foley wird garantiert nicht handgreiflich. Er ist von Angst beherrscht. Ich dagegen kann mich selbst beherrschen. «
Nelson wirkte nicht so, als wäre er überzeugt.
» Ed Wiggins hat mich eben besucht. «
» Ach, wirklich? « Chang tat so, als wäre er überrascht.
» Hat sich entschuldigt. Ich will hoffen, dass du ihm nicht gedroht hast. « Nelson sah Chang an,
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