Aus Eifersucht kann Liebe werden: Die Heilung eines ungeliebten Gefühls
Mädchen ihren Vater heiraten will. Natürlich idealisieren Kinder ihre Eltern, es kann durchaus eine sehr innige Nähe entstehen. Und mitunter wollen vor allem Mädchen später einen Mann suchen, der ihrem Vater ähnelt. Aber wenn ein Junge eine große erotische Zuneigung zu seiner Mutter empfindet, ist dies immer ein Zeichen einer zu großen emotionalen Abhängigkeit. So war dies auch bei dem Schriftsteller Stendhal, der wie unter einer Glasglocke aufwuchs, denn sein Vater hatte immer Angst, dass er bei der Berührung mit dem gemeinen Volk verdorben werden könnte. Und so fühlte sich der kleine Henry vor allem zur verwöhnenden Mutter hingezogen und wünschte sich den Vater fort. Seine Mutter fand ihren Mann psychisch abstoßend und ging eine innige Beziehung zum Sohn ein. Für diesen war sie eine anmutige, schöne, begehrenswerte Frau und er bekennt: »Ich wollte meine Mutter mit Küssen bedecken und wünschte, dass es keine Kleider gäbe. Sie liebte mich leidenschaftlich und küsste mich oft, ich erwiderte ihre Küsse mit solcher Glut, dass sie oft hinausgehen musste. Ich verabscheute meinen Vater, wenn er unsre Liebkosungen unterbrach. Ich wollte sie stets auf die Brust küssen.« 13
Doch die Mutter starb, als Henry sieben Jahr alt war. Und das Liebesleben von Stendhal war später davon geprägt, dass er sich in unerreichbare Frauen verliebte und sehr eifersüchtig war. Man hat dies mitunter so erklärt, dass er das Unglück als Stachel für sein Schriftstellerleben brauchte. Doch in Wirklichkeit sind seine Eifersucht und seine unglückliche Liebeswahl das Ergebnis einer symbiotischen Mutterbindung. Indemer sich in unerreichbare Frauen verliebte, schützte er sich vor einer zu symbiotischen Beziehung und wiederholte zugleich die Muttererfahrung, wo auch die Liebe gewisse Grenzen hatte.
Die eifersüchtigen Eltern
Doch wenn die Familienverhältnisse emotional zu eng sind, sind nicht nur die Kinder eifersüchtig. Oft sind auch die Eltern eifersüchtig auf die neuen Partner der Kinder. Sie kennen sicher auch Väter, die extrem eifersüchtig sind auf die Liebhaber der Tochter. Mitunter kann man dies auch verstehen. Nachdem sich der Vater lange so intensiv um seine Tochter gekümmert hat, glaubt er nicht, dass ein anderer dieser Rolle gerecht werden kann. Aber gerade dann ist die Ablösung aus dem Elternhaus so wichtig und zugleich so konflikthaft.
Den neuen Partner verhindern
Doch nicht nur Eltern müssen es lernen loszulassen. Auch Kinder müssen lernen, dass Eltern ihr eigenes Leben führen. Sonst kann es durchaus passieren, dass ein eifersüchtiges Kind eine neue Partnerschaft der Mutter verhindert. Es hat sich so daran gewöhnt, der Partner des alleinstehenden Elternteils zu sein, dass es jeden Versuch zu einer neuen Beziehung mit heftigen Eifersuchtsgefühlen torpediert. Wie stark diese Eifersuchtsgefühle sein können, schildert Elias Canetti in seiner Autobiographie »Die gerettete Zunge«. Als Kind hatte Canetti eine sehr enge Beziehung zu seiner jungen, verwitweten Mutter, und diesen Zustand verteidigte er mit allen Mitteln. Er drohte seiner Mutter, sich vom Balkon zu stürzen, und warf alle Geschenke weg, die ihm einer ihrer Verehrer mitbrachte. Über die Besuche dieses Mannes schreibt er: »Ich wusste nicht, was zwischen Mann und Frau geschieht, dochwachte ich darüber, dass nichts geschähe. … Am schlimmsten war es, wenn er lange nichts sagte, dann wusste ich, dass sie ihm etwas Längeres erzählte, und nahm an, sie sprächen über mich. Dann wünschte ich, dass der Balkon einstürzte und er unten auf dem Pflaster liegen bleibe. Es fiel mir nicht ein, … dass sie ja mit ihm abgestürzt wäre … Damals setzte die Eifersucht ein, die mich mein ganzes Leben lang gequält hat.« 14
Die bedürftigen Eltern
Doch warum klammern Kinder so stark, warum sind sie dermaßen eifersüchtig? Fast immer liegt die Antwort darin, dass die Eltern selbst geklammert haben, das Kind nicht loslassen konnten. So war es auch bei dem Schriftsteller Canetti. Seine Mutter war nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes dem Selbstmord nahe gewesen, Elias schlief daher nachts bei ihr und hielt sie teilweise fest, damit sie nicht aus dem Fenster springen konnte. Eine sehr enge Bindung ergibt sich, Elias fühlt sich für seine Mutter verantwortlich. Er wird zum Partner, die Beziehung wird immer symbiotischer, und als Elias dann elf Jahre alt ist, will er die erneute Heirat der Mutter verhindern und droht nun seinerseits mit
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