Aus Eifersucht kann Liebe werden: Die Heilung eines ungeliebten Gefühls
immer Sympathiestrukturen heraus. Immer wird ein Kind etwas bevorzugt, ein Kind etwas mehr gemocht. Wichtiger als der Versuch der Gleichbehandlung ist es deshalb, jedem Kind individuell das Gefühl der echten Zuneigung zu geben, damit es ein stabiles Selbstbewusstsein entwickeln kann. Früher ging man davon aus, dass die Liebesansprüche des Kindes unmäßig sind. Das glaube ich nicht. Ein Kind will jedochnicht im Schatten eines Nachfolgers stehen, es will so viel Aufmerksamkeit und Liebe bekommen, dass es das Gefühl einer eigenständigen, festen Bindung bekommt.
Entthronung ist die stärkste Kränkung
Doch trotz aller Bemühungen gibt es in vielen Familien regelrechte Eifersuchtsdramen. Ich habe sie selbst in der Kindheit erlebt. Ich war der Zweitgeborene und meine Schwester reagierte sehr unruhig darauf, dass nun noch ein Bruder auf die Welt kam. »Nehmt ihn wieder mit, wir brauchen ihn nicht«, soll sie gerufen haben, als ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam. Und wir stritten später einmal sehr heftig darüber, wer auf einem Karussell schneller führe. Ich saß auf der Feuerwehr, hatte das Blaulicht angeschaltet, meine Schwester fuhr auf dem Motorrad. Und die dumme Pute behauptete doch tatsächlich, dass sie mich in der rechten Kurve überholte. Dabei blinkte doch mein Blaulicht, und eine Feuerwehr überholt bekanntlich alle.
Diese Eifersucht zwischen meiner Schwester und mir hielt nicht sehr lange an, weil dann noch eine Schwester geboren wurde. Denn am stärksten ist diese Eifersuchtsproblematik, wenn es nur zwei Kinder in der Familie gibt. Dann ist oft das älteste Kind buchstäblich stinksauer auf das Nachgeborene, das plötzlich alle Zuwendung und Anerkennung bekommt. Wenn ein drittes Kind auf die Welt kommt, ist dies für den Ältesten immer eine Genugtuung. Er kann sich dann sagen: Ätsch, jetzt geht es dem zweiten Geschwister so wie mir, auch er ist entthront worden. Diese Genugtuung heilt ein wenig die ursprüngliche Kränkung. Deshalb sind älteste Kinder, die nur ein Geschwister haben, am stärksten krisengefährdet. Jedenfalls erzählten mir Kollegen, dass älteste Kinder mit einem Geschwister am häufigsten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu finden seien.
Mit diesem Entthronungs-Erlebnis hat sich vor allem AlfredAdler beschäftigt. Er stellte fest, dass insbesondere die entthronten Ältesten später unter Eifersucht leiden und über eine konservative Lebenseinstellung verfügen. Sie würden die Vergangenheit bewundern, in der sie noch die ungeteilte Zuwendung bekamen. Deshalb gehen sie lebenslänglich davon aus, dass Veränderungen immer eine Bedrohung ihrer emotionalen Versorgung sein können. Und diese Angst vor einem Verlust der Liebe ist das Grunderlebnis des Eifersüchtigen. Als würde ein Fluch über dem eigenen Leben liegen, gegen den man nichts ausrichten kann.
Eifersucht auf die Eltern
Es ist sehr verständlich, dass Kinder auf die Geburt der Geschwister eifersüchtig reagieren. Doch warum sind dann Einzelkinder oft sehr eifersüchtig? Auch sie müssen Angst haben, dass ihre Vorzugsstellung bedroht ist. Ein guter Freund schilderte, seine Zieh-Tochter habe immer ihre Mutter gefragt: »Wen würdest du retten … mich oder Paul? Wenn du nur einen retten kannst … für wen würdest du dich entscheiden?« Sehr misstrauisch registrierte dieses Mädchen, dass sich die Mutter verliebte. Sie konnte den neuen Partner der Mutter nicht vorbehaltlos akzeptieren und neugierig sein. Denn Kinder sind vor allem dann eifersüchtig, wenn sie vorher zugleich verunsichert waren und zu sehr im Mittelpunkt standen. Und Kinder tun dann alles, um diese Vorzugsstellung wieder zu bekommen. So vertraute Tanja Tolstoi – die Lieblingstochter des russischen Schriftstellers – ihrem Tagebuch an: »Ich werde ganz eifersüchtig, wenn ich sehe, wie nett und aufmerksam Papa zu Mascha ist … Ich fühle mich einsam und ungeliebt, mir kam sogar der Gedanke, nach draußen zu gehen und mir eine Erkältung zu holen, nur damit ich mich auch an Papas Zärtlichkeit erfreuen könnte.« 12
Wir müssen raus in die Welt
Nun liegt bei einem eifersüchtigen Kind immer eine innere Verzweiflung vor, die wir ernst nehmen müssen. Sonst würde ein Kind nicht dermaßen stark auf die elterliche Zuwendung ausgerichtet sein. Denn letztlich ist es unser Lebensschicksal, dass wir hinaus müssen in die Welt, dass wir uns aus der warmen Elternwelt lösen. Es ist daher keineswegs normal, wenn ein Junge wirklich seine Mutter, ein
Weitere Kostenlose Bücher