Aus heiterem Himmel (German Edition)
Fähigkeiten als Chirurg konnte sie nur neidlos anerkennen, doch außerhalb des OPs war er, kurz gesagt, ein mieser Typ. Die Krankenschwestern hassten ihn, und sämtliche Hilfskräfte fürchteten sich vor ihm. Von den anderen Ärzten wurde er nur toleriert, weil er ihr Vorgesetzter war und weil man sich nur Ärger einhandelte, wenn man sich mit ihm anlegte. Denn Dr. Lincoln Watts besaß das Gedächtnis eines Elefanten.
Als Jüngste im Team hatte Nicole gelernt, sich unauffällig zu verhalten. Sie machte ihre Arbeit gut, und mehr wollte sie nicht.
Im Moment betrachtete Dr. Watts ihren Po.
“Kann ich Ihnen helfen?”, fragte Nicole höflich und drehte sich zu ihm um, damit er ihr ins Gesicht sah.
Er ließ den Blick an ihr hinaufwandern, und jetzt war sie froh, dass ihre Brüste nicht so groß waren. Dieser Mann sollte bei ihrem Anblick so wenig Lust wie möglich verspüren.
“Und ob Sie mir helfen können.” Er lächelte, als er ihr nun in die Augen sah. “Tja, ich glaube, das können Sie tatsächlich.”
Verdammt!
“Kommen Sie heute Abend mit mir zur Wohltätigkeitsveranstaltung.”
Diese Veranstaltung fand jedes Jahr statt, um reiche Gäste zum Spenden zu bewegen. Das Krankenhaus war auf diese Spenden angewiesen, und die Gäste konnten die Spenden von der Steuer abschreiben. Auf diese Weise waren alle glücklich.
Allerdings müsste Nicole einen ganzen Abend lang strahlend lächeln und sich herausputzen. Sie konnte es aber nicht ausstehen, stundenlang zu lächeln und zu plaudern, deshalb hatte sie es dieses Jahr so arrangiert, dass sie an dem Abend arbeiten musste, damit sie dem ganzen Trubel entgehen konnte.
“Tut mir leid, ich arbeite”, antwortete sie.
“Das kann ich für Sie regeln.”
Und als Dank soll ich mit ihm ins Bett, vermutete Nicole. “Nein, danke. Es macht mir nichts aus, wenn ich den Ball versäume.”
“Ich will, dass Sie mit mir kommen.”
Und was Dr. Watts wollte, das bekam er auch. “Entschuldigen Sie, Dr. Watts, aber das wäre den Kollegen gegenüber unfair.”
“Linc.”
“Wie bitte?”
Er fuhr ihr mit dem Finger über die Schulter, und fast wäre sie angewidert zusammengezuckt.
“Nennen Sie mich Linc”, sagte er sanft. “Ich würde es als persönlichen Gefallen ansehen, wenn Sie mich begleiten.”
Nicole hatte schon mit acht Jahren perfekt rechnen können, aber das Einmaleins im Umgang mit Menschen beherrschte sie nicht. “Ich sagte: Nein.”
Dr. Watts Blick wurde kalt, und dann, ohne ein weiteres Wort, verschwand er.
Unbehaglich sah Nicole ihm nach. Hatte sie gerade ihre Karriere beendet, weil sie keine Lust hatte, mit ihrem Chef ins Bett zu steigen?
Nicole war nach Hause gefahren. Auf dem Weg ins Haus kam sie an einem großen bronzenen Löwen vorbei und an einem alten Grammophon, an einer mit Schnitzereien verzierten Kommode und an einer Standuhr aus Marmor.
Taylor, das arme reiche Mädchen!, dachte Nicole. Taylor war im Reichtum aufgewachsen, und jetzt besaß sie nur dieses Haus und die Antiquitäten, die sie ihr Leben lang gesammelt hatte. Nun verkaufte sie einzelne Stücke, um mit dem Erlös die Renovierung des Hauses zu finanzieren. Taylor war einfallsreich, das musste man ihr lassen.
Ein Bär aus Holz mit einem Fisch im Maul saß auf der Treppe. Auf der nächsten Treppe standen, ordentlich aufgereiht, gerahmte Kunstdrucke. Nicole betrachtete gerade eine gemalte Schale Obst und stellte fest, dass sie hungrig genug war, um sogar Früchte zu essen, als Taylor die Tür ihres Apartments aufriss.
Mist, dachte Nicole. Jetzt will sie bestimmt über ihre neuesten Pläne für die Party mit mir sprechen. “Ich bin wirklich müde.” Sie seufzte dramatisch, um Taylors Mitleid zu wecken.
Doch Taylor streckte die Hand aus und zog Nicole mitleidlos zu sich in die Wohnung. “Wir müssen miteinander reden.”
“Aber …”
“Du bist müde, ja, schon gut, ich weiß. Das habe ich mir bereits gedacht und deshalb die Party auch alleine geplant.”
Nicole war ihr dafür sehr dankbar und bekam nun ein schlechtes Gewissen, weil sie zuerst so barsch gewesen war. “Vielen Dank, dass du …”
“Dank mir nicht, Supergirl. Du brauchst ein Kleid.”
“Oh nein!”
“Oh doch! Und mach dir erst gar keine falschen Hoffnungen, dieses Kleid wird kein Fummel sein, sondern schick.”
“Aber …”
“Dann wirst du es dir beim nächsten Mal überlegen, ob du mir die Planung noch einmal allein überlässt.”
“Stell die Pläne um.”
“Nein”, sagte Taylor
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