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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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nur ab und zu. Auf dem Spielplatz käme man dann ins Gespräch. Ganz ungezwungen. Und wirklich nur ab und zu.
    Das war der Plan. Ich mochte ihn.
    Was dann kam, war anders. Und ich war mittendrin.
     
    Sie gehe nur noch mal eben runter, in den Supermarkt, einen Stock tiefer »Milch kaufen«.
    »Habe ich doch schon geholt!«, schreie ich zurück. »Vier Liter.«
    Ich merke sofort, dass Viola nur so tut, als ob sie mich nicht gehört hätte. Sie steht am anderen Ende des Flurs, schlüpft in ihre Schuhe, zu hastig, der rechte Schuh stellt sich quer. Ihr geht es nicht um Milch, das sehe ich, nicht um irgendeinen entspannten Cappuccino morgen früh oder um ein Einschlaffläschchen für Gianna heute Abend. Das ist ja momentan auch alles nicht ihr Terrain. Ich bin es doch, der so Kram im Kopf hat wie: Wir brauchen neue Abfalltüten, endlich eine hellere Glühbirne für den Flur oder eben Milch. Und ja, Mist aber auch, wieder die Abfalltüten vergessen. Aber doch nicht die Milch.
    Und jetzt kramt sie in ihrer Tasche, schaut mich nicht an.
    »Also Milch brauchen wir wirklich nicht«, sage ich noch mal ganz ruhig. Sie grummelt ein, zwei Sätze, von denen ich nur die Worte »noch mal rauskommen« verstehe, packt eine blaue Plastiktüte, die zu reißen droht. Türschlagen.
    Rauskommen, soso. Eigentlich nur eine kleine Unausgesprochenheit, die in meinem Kopf aber an Boden gewinnt, sich zum Argwohn mausert und schließlich zum handfesten Verdacht auswachsen wird. Denn auf einmal fügen sich viele kleine, offene Fragen zu demselben beunruhigenden Nebel zusammen: Warum geht Viola eigentlich so oft »nur eben noch mal kurz runter«? Schnell noch Kaffee/Eis/Olivenöl/Miesmuscheln holen. Was dann eigentlich immer gar nicht schnell geht, was weder ich noch sie mir erklären kann. Warum grinst Andrea, der Chef vom Supermarkt immer so komisch, wenn ich ihm begegne? »Ich sehe was, was du nicht siehst«, das Kinderspiel, bloß unter Erwachsenen: »Ich weiß da was, wovon du nicht den leisesten Schimmer hast.« Und schaut nicht auch Laura, die Kassiererin, immer ein wenig pikiert, sobald ich reinkomme?
    Dieser Abend, mit Rauskommen und Milch und den Nebelfragen ist der erste Tag, an dem der Supermarkt einen Stock tiefer mehr ist als nur ein Supermarkt. Ich stehe im Flur, das Türknallen im Ohr und den Verdacht im Kopf. Den Supermarktverdacht.
     
    Ich stand vor einer Schaukel. Alle drei Sekunden kam Gianna wieder angeschwungen, mit bebenden Nasenflügeln. Entweder ich schubste oder ich kitzelte sie, spielte Formica, Ameise. »Mica!«, kreischte sie und zog die Schultern hoch. Zweijährige können enorm lang immer den gleichen Spannungsbogen wiederholen, ohne sich zu langweilen. Elena schlief im Kinderwagen daneben, ein britisches Fabrikat, Kolonialstil: ein hoher blumenbeetgroßer Kasten auf riesigen Speichenrädern, geliehen von der deutschen Verwandtschaft. Obendrauf klemmte eine Art Campingstuhl, den ich am unteren Ende des Kastens über die Beine von Elena fixiert hattte: ein Kamelsitz für die große Schwester.
    Die Schaukel quietschte.
    »Mica!«
    Klaro, Mica. Ich kitzelte los.
    Ich fragte mich, was ich vor drei Jahren von einem Typen wie mir gedacht hätte. Einer, der alle Spielplätze der Stadt kannte, der wusste, in welchen Bars man zum Espresso noch kostenlos einen Keks fürs Kind dazu bekam, der Ökowindeln importierte und sich Werbung für Biobrei durchlas, aber keine Ahnung hatte, wo man ordentliches Gras herkriegte. Einer, der seine Kinder bespaßte, manchmal sogar mit betulich verstellter Stimme, sich irgendwann auf eine dieser Erwachsenenbänke setzte, dabei womöglich noch ein wenig ächzen würde.
    Damals, als wir auf das erste Kind warteten, sagten alle, dass jetzt alles anders werden würde. Und ich bekam Angst. Meine Frau wurde immer dicker, das Philosophie-Studium immer beliebiger und dazu dieses ständige Gefasel: Bald wird alles anders sein. Ganz anders. Ja, was denn, verflucht?
    Ich war schon immer auf Krawall gebürstet. Was alle hochjubelten, fand ich aus Prinzip Kacke. Jahrelang marschierte ich nur in Schlafanzughosen durch die Welt: mit Schlag, gestreift, vom Flohmarkt. Schuhe zog ich nur im Winter an, die Haare ließ ich mir ins Gesicht hängen. Normal war Feind, Anderssein König. Und jetzt sollte also alles anders werden? Ganz anders?
    Die größte Überraschung an unserem ersten Kind war nicht, dass es entgegen sämtlichen Prognosen eine Tochter wurde. Die italienische Verwandtschaft schloss aufgrund der eher

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