Aus Liebe zum Wahnsinn
ihm. Das mit dem Buchstabieren fing erst an, nachdem ich ihn abgelegt hatte. Von Buchetmann auf Cadeggianini bedeutet von zehn auf zwölf Buchstaben, von einem Konsonanten-Vokal-Verhältnis von 2 : 1 auf 1 : 1 . Das sei ein Upgrade, sagt Viola, »von mir für dich«. Vokale im Namen seien wie Gelierzucker in der Marmelade.
»Aber ich mag’s doch gar nicht so süß. Lieber die 2 : 1 , vielleicht sogar 3 : 1 . Ich will mehr Frucht im Leben, nicht Zucker.«
Ob ich ernsthaft diese fies kratzigen Konsonanten mit dem Fruchtanteil in Marmeladen vergleichen wolle?
»Neinnein. Aber warst es nicht du, die mit dem Marmeladenkäse angefangen hat? Und ich meine ja nur, dass ich süße Marmelade nicht ausstehen kann, egal, wie ich heiße.«
»Was hat denn das jetzt wieder damit zu tun?«, fragt Viola. »Süße Marmelade«, äfft sie mich nach, zieht die Vokale in die Länge. »Willst Du etwa Krsczywnek heißen?«
Beim Buchstabieren haben die meisten Menschen nach zehn Buchstaben eine natürliche Schallgrenze eingebaut, danach hagelt es Kommentare, Einsprüche, Verwirrungen.
»… Ida-Anton-Nordpol-Ida …«
»Momentmoment. N–I. Jetzt bin ich durcheinandergekommen. Und dann?«
Bei Buchstabe zehn ist Aufnahmestopp, Schluss, Ende der Fahnenstange. Oder ist es die Panik vor dem Ende? Meine Mutter zum Beispiel sagt am Ende einer längeren Autofahrt immer: »So, gut gefahren. Aber jetzt noch mal aufpassen. Auf den letzten Metern passiert am meisten.«
»Noch mal, Nordpol-Ida.«
»Also, N–I–N–I«
»Exakt.«
»So.« Pause. Dann: »Wo haben Sie denn den Namen her?«
»Äh. Von der Frau.«
»Von der Frau?«
»Also von meiner.«
»Aha.«
Pause. An dieser Stelle gewinnt der Gesprächspartner regelmäßig Oberwasser. Schon das zweite »a« von Aha wird bereits nach oben gezogen. Signal: Hier pflügt gerade jemand im Obstgarten des Gehirns, und gleich wird die große Ernte eingefahren. Manche bauen sich dann noch eine eigene Rampe: »Jetzt habe ich aber mal eine Frage …« – andere feuern gleich. Die Stimmhöhe geht eine Terz rauf, das Tempo auf 150 Prozent. Vorsicht, jetzt kommt eine besonders investigative, überraschende, kecke Frage. Achtung. Fertig? Los: »Und wie hießen Sie vorher?« Die etwas unhöflichere Variante ist: »Und wie heißt Du wirklich?«
Was passiert da? Was schießt dem Gesprächspartner durch den Kopf, um bei dieser Frage zu landen? Hier hat sich also ein Mann einen italienischen Rechtschreibfehlerbuchstabiernamen aufgehalst. Warum zur Hölle hat er das gemacht? Leichtsinn, oder ist das so ein Italofreund? Will er auffallen? Raus aus der Langeweile: weg von Schmidt, Meier, Müller? Oder gerade das Gegenteil? Er hieß Rummenigge, Popelknopel oder Goebbels und ist jetzt heilfroh, dass er nur noch buchstabieren muss und nicht mehr Fankarten, blöde Sprüche oder Nazischeiß auf den Tisch bekommt?
Argwohn nistet sich ein: Da muss einfach was faul sein. Da ist jemand Giftmüll losgeworden, einen Vierundzwanzigender, was immer es auch sein wird, und ich, großer Detektiv der Wirklichkeit, werde ihm jetzt gleich auf die Schliche kommen. Jetzt, mit dieser Raketenfrage: »Wie heißt Du wirklich?« Und dann – ich kann meine Antwort, meinen Geburtsnamen, so genau, so langsam, so akzentuiert prononcieren, wie immer ich auch will – das anschließende »Buchetmann« wird immer, aber auch wirklich immer mit einem kurz ausgestoßenen, ungläubigen, fast fiebrigen »Wie?« quittiert, als ob ich gerade Bretonenbredouillenbouillon genuschelt hätte.
Das ist mir früher nie passiert.
Wie heißen Sie? Aha, Buchetmann, danke.
So etwa. Und jetzt das. Ist es der Lauf der Zeit? Haben die Kerns, Bergs und Steins unsere Gesellschaft so weit vereinsilbigt, dass Mehrsilbennamen nicht mehr auf den ersten Hieb verstanden werden? Wurde Buchetmann im Laufe einer halben Generation vom Chefetagennamen zum Buchstabiernamen degradiert? Ich fragte Experten. In diesem Fall Verwandte: Nein, problemfreier Name, weiterhin, keinerlei Verfallstendenzen: Wie heißen Sie? Aha, Buchetmann, danke. Also muss es wohl an mir liegen, an der Vorgeschichte, an der Erwartung, die sich aufgebaut hat. Wie ein Gitarrenverzerrer schaltet sich da etwas zwischen Ohren und Verstand des Gegenübers. Während das Ohr eine biedere Tonleiter empfängt, Eingangsstempel draufsetzt und weiterreicht, reißt die Erwartung den Gitarrenhals hoch, dudelt mit Wah-Wah, Chorus, Flanger.
»Wie?«
Das macht mir Angst.
Wer hat hier
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